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Die unsichtbaren Narben der Flucht

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Die unsichtbaren Narben der Flucht

Im Rahmen der 16-Tage-Kampagne gegen Gewalt an Frauen betont Fana Asefaw die besondere Vulnerabilität von Frauen auf der Flucht. Sie fordert kultursensible Unterstützung, schnellere Integration und die Rolle von „Brückenbauerinnen“, die den Zugang zu Hilfe erleichtern.
29 November 2024 Auch verfügbar auf:
Psychiaterin und Brückenbauerin Fana Asefaw

Psychiaterin und Brückenbauerin Fana Asefaw

 

„Die Gewalt, die Frauen auf der Flucht erfahren, ist vielschichtig: Sie reicht von sexueller Gewalt und Missbrauch bis hin zu emotionaler Gewalt, die durch Drohungen gegen ihre Kinder ausgeübt wird.“

Fana Asefaw

 

Frauen auf der Flucht sind laut Fana Asefaw besonders vulnerabel. Zum Anlass der “16 Tage gegen Gewalt an Frauen” spricht die Psychiaterin und Brückenbauerin über Gewalt an Frauen auf der Flucht, deren Folgen und die richtige Betreuung in unserer Gesellschaft. 

Laut einer Studie von OCHA erleben über 70 Prozent der Frauen auf der Flucht Gewalt, mehr als doppelt so viele wie im weltweiten Durchschnitt. Auf den Fluchtrouten begegnen sie oft Männern, die Macht und Kontrolle über sie ausüben – darunter Menschenhändler, Dolmetscher oder andere männliche Flüchtlinge.  Alleine ohne ihre Familienverbände und mit Kindern unterwegs sind sie einem besonderen Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden.  

Gewalt gegen Frauen äussert sich nicht nur in physischen Übergriffen, sondern auch auf emotionaler und sexueller Ebene. Die Auswirkungen dieser Gewalt sind tiefgreifend und langanhaltend, insbesondere auf die psychische Gesundheit der betroffenen Frauen. Fana Asefaw hebt hervor, dass viele der Frauen ihre traumatischen Erlebnisse zunächst verdrängen, um zu überleben. Dies kann jedoch langfristige psychische Schäden nach sich ziehen. 

Trauma und Integration: Die Hindernisse in der Schweiz 

 Die Integration in ihre neue Umgebung stellt für traumatisierte, geflüchtete Frauen eine grosse Herausforderung dar. Asefaw beschreibt die Herausforderungen, mit denen geflüchtete Frauen in der Schweiz konfrontiert sind: Langwierige Asylprozesse, fehlende Unterstützung durch Familie, strukturelle Barrieren und fehlende soziale Netzwerke. Eine fehlende Aufnahmebereitschaft und eine dem kulturellen Hintergrund unangepasste Unterstützung können ausserdem  bestehende Traumata verschärfen, anstatt zur Heilung beizutragen. In vielen Fällen sind diese Frauen isoliert und müssen in einem fremden Land allein mit ihren psychischen und physischen Belastungen kämpfen. 

 

„Wenn eine Mutter in einer Gesellschaft traumatisiert und isoliert ist, betrifft das nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder. Kinder lernen von den Müttern, und wenn diese emotional anhaltend leiden, hat das weitreichende Folgen für die nächste Generation.“

Fana Asefaw

 

Kultursensibles Vorgehen als Schlüssel 

Asefaw betont, dass geflüchtete Frauen eine kultursensible Unterstützung (d.h. Hilfe, die die kulturellen Unterschiede und Bedürfnisse berücksichtigt) benötigen, um ihre Traumata zu bewältigen. Dies umfasst nicht nur psychologische Hilfe, sondern auch praktische Unterstützung im Alltag, wie etwa die Versorgung ihrer Kinder, Sprachkurse oder berufliche Integrationsmassnahmen. Dabei schlägt sie vor, dass Fachkräfte, die mit geflüchteten Frauen arbeiten, ein vertieftes Verständnis für Trauma und kulturelle Unterschiede haben sollten, um den betroffenen Frauen zu helfen, sich zu öffnen und ihre Erfahrungen zu verarbeiten. 

Besonders wichtig seien dabei sogenannte Brückenbauerinnen – Frauen mit spezifischem Wissen und interkultureller Kompetenz, die als Bindeglied zwischen den geflüchteten Frauen und den Fachkräften fungieren. Diese Brückenbauerinnen schaffen Vertrauen und erleichtern den Zugang zu notwendiger Hilfe, bevor die Frauen in den oft schwierigen therapeutischen Prozess eintreten. 

 

„Brückenbauerinnen sind keine Therapeutinnen, sondern Menschen, die das Vertrauen zwischen den Frauen und den Fachkräften herstellen, damit diese Frauen sich öffnen und Hilfe annehmen können.“

Fana Asefaw

 

Asefaw fordert spezifische Verbesserungen in den Unterkünften für geflüchtete Frauen. Frauen sollten nicht gemeinsam mit Männern untergebracht werden, da dies ihr Sicherheitsgefühl massiv beeinträchtigt. Zudem sollten Schlafräume abschliessbar sein, um Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten. Eine weitere wichtige Massnahme nach der Anerkennung ist ein schnellerer Integrationsprozess, welcher geflüchteten Frauen hilft, sich rasch in die Gesellschaft zu integrieren und ihre Traumata zu verarbeiten. 

Die 16-Tage-Kampagne kann hier eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Aufmerksamkeit auf diese dringenden Themen lenkt und politische sowie gesellschaftliche Veränderungen anstösst. Asefaw betont, wie wichtig es ist, die geflüchteten Frauen nicht nur als „Opfer“ zu betrachten, sondern sie als starke, sensible Frauen, Mütter und gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkennt. 

Die Verantwortung der Gesellschaft 

Die Zivilgesellschaft kann, geflüchtete Frauen in ihrer Heilung und Integration unterstützen. Dabei sind nicht nur politische Massnahmen gefragt, sondern auch ein Umdenken hin zu mehr Empathie, Respekt und aktiver Unterstützung. Nur durch ein kollektives Engagement kann der Teufelskreis der sequentiellen Traumatisierung im Alltag durchbrochen und den betroffenen Frauen eine echte Chance auf Heilung und ein selbstbestimmtes Leben gegeben werden. 

Kurzbiografie Fana Asefaw

Fana Asefaw engagiert sich seit vielen Jahren für bessere Lebensbedingungen von Flüchtlingen und agiert als Vermittlerin zwischen verschiedenen Kulturen. Zudem arbeitet sie als Fachärztin mit psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen. Asefaw selbst wuchs in mehreren Ländern auf, und hat einen eritreischen Hintergrund. In Deutschland studierte sie dann Medizin und promovierte in Berlin über weibliche Genitalbeschneidung. Momentan ist Frau Asefaw zudem als Dozentin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich tätig. Des Weiteren ist sie die ärztliche Leiterin des Projektes Brückenbauer:innen und Trauma.