Close sites icon close
Search form

Nach einer Länderseite suchen.

Länderprofil

Länderseiten

"Die Berge rund um Kabul erinnern mich an die Schweiz"

Stories

"Die Berge rund um Kabul erinnern mich an die Schweiz"

30 Juli 2024 Auch verfügbar auf:
Christof Portmann ist derzeit in Afghanistan stationiert und seine Arbeit führt ihn regelmässig zu Besuchen im Feld. ©UNHCR/Christof Portmann

Name: Christof Portmann

Einsatzort: Kabul, Afghanistan

Position: Senior Policy Officer

Bei UNHCR seit: 2008


Wie kommt man dazu, für UNHCR in Kabul zu arbeiten?

Ich hatte nicht geplant, in Afghanistan zu arbeiten, aber die Arbeit bei UNHCR führt oft zu interessanten und unerwarteten Orten. Ich glaube, dass mein Berufsweg im UNHCR und meine Interessen mich in gewisser Weise auf natürliche Weise nach Afghanistan geführt haben. 

Ich begann meine Arbeit bei UNHCR 2008 im Büro für die Schweiz und Liechtenstein. Seitdem habe ich in verschiedenen Kontexten gearbeitet, z.B. in Tunesien während des Libyen-Konflikts, in Jordanien und im Libanon auf dem Höhepunkt der Syrien-Krise oder im Jemen, bis der Krieg dort ausbrach. Ich war auch am Hauptsitz von UNHCR in Genf tätig, unter anderem im Büro des UNHCR Assistant High Commissioner for Protection.  

Wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen bei UNHCR bin ich dorthin gegangen, wo man mich gebraucht hat. Dies hat mich zu Einsätzen in zahlreichen Ländern in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Asien geführt.  

Diese vielfältigen Erfahrungen helfen mir nun, mich in einer der politisch sensibelsten und herausforderndsten humanitären Kontexte der Welt zurechtzufinden.  

Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus? 

Mein tägliches Leben in Kabul spielt sich innerhalb eines gesicherten Geländes ab. Mein Büro befindet sich nur wenige Meter von meiner Unterkunft entfernt und erinnert mich immer wieder an die Sicherheitsrisiken und die besondere Umgebung, die deswegen notwendig ist. Bewaffnete Wachen patrouillieren um das Gelände herum, in meinem Büro liegen ein Helm und eine kugelsichere Weste, und die Fenster sind mit einer Sprengschutzfolie verstärkt, die auch das Sonnenlicht abdämpft. 

Es kann manchmal bedrückend sein, von hohen Mauern und Stacheldraht umgeben zu sein. Deshalb gehe ich oft auf das Dach, von wo aus man die herrlichen Gipfel rund um Kabul sehen kann. Die Berge erinnern mich an zu Hause, und ich denke oft daran, wie schön es wäre, einfach zu diesen Bergen hinausgehen zu können. Angesichts dieses sehr eingeschränkten Lebens haben wir alle vier Wochen eine Woche Urlaub und verlassen das Land, um uns zu erholen. 

Seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 hat sich die Sicherheitslage verbessert, was es uns ermöglicht, alle Teile Afghanistans mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu erreichen. Zu einer typischen Arbeitswoche gehören Besuche in unseren Büros in Städten wie Kandahar oder Mazar-i-Sharif, um aktuelle Themen mit den Kolleg*innen vor Ort zu besprechen, Besuche in Grenzgebieten bei Jalalabad und Herat, um rückkehrende Flüchtlinge zu unterstützen, und Treffen mit binnenvertriebenen Afghan*innen oder Rückkehrer*innen, um ihre Bedürfnisse zu verstehen.

Jeder Tag bringt neue Herausforderungen mit sich. In Afghanistan kommt es häufig zu Naturkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben und anderen Notsituationen und UNHCR unterstützt die Betroffenen mit humanitärer Hilfe.   

 

Was sind die grössten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit? 

Seit August 2021 haben die de-facto-Behörden Afghanistans die Rechte von Frauen und Mädchen stetig eingeschränkt. Ihre Verordnungen haben Mädchen den Besuch von weiterführenden Schulen verboten und den Zugang von Frauen zu Universitäten sowie zu sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten eingeschränkt. NGOs und UN-Organisationen stehen vor Hindernissen bei der Beschäftigung afghanischer Frauen. Diese Verbote haben erhebliche Auswirkungen auf Frauen und Mädchen in Afghanistan und auf unsere Arbeit. 

Afghanistan steht unter zusätzlichem Druck wegen wachsender Armut und Unterernährung sowie der Rückführung vieler Menschen, wie Pakistans Plan, 1,3 Millionen Ausländer*innen, hauptsächlich Afghan*innen, zurückzuschicken. Diese Rückführungen belasten die ohnehin knappen Ressourcen in Afghanistan weiter. Die mangelnde Finanzierung könnte die Lücke zwischen dem Bedarf und der Hilfe der Geber vergrössern. Daher bleibt es eine grosse Herausforderung, die Unterstützung für vertriebene Menschen in diesem schwierigen Umfeld aufrechtzuerhalten. 

Auf persönlicher Ebene ist es herausfordernd, ständig von Leid und Not umgeben zu sein. Während jeder Kollege und jede Kollegin eigene Wege findet, mit diesen Schwierigkeiten umzugehen, schätze ich es, wie wir uns gegenseitig dabei unterstützen, Tag für Tag eine positive Einstellung zu bewahren. Diese gemeinsamen Erfahrungen und die gegenseitige Unterstützung knüpfen oft lebenslange Bande. 

Afghanistan ist seit vielen Jahren von Unsicherheit geprägt. Wie fördert UNHCR dauerhafte Lösungen für Binnenvertriebene und Rückkehrer*innen?  

Nach fast 40 Jahren haben die grossen Kämpfe in Afghanistan aufgehört, und aktive Konflikte verursachen nicht mehr so viele Vertreibungen wie früher. Dennoch sind 3,2 Millionen Afghan*innen aufgrund des Konflikts weiterhin innerhalb des Landes vertrieben, und mehr als 5,5 Millionen sind als Flüchtlinge registriert oder befinden sich in flüchtlingsähnlichen Situationen in der Region. Es besteht weiterhin Bedarf an humanitärer Hilfe wegen Armut, mangelnder Ernährung und Lücken in der Grundversorgung. 

Es ist allerdings wichtig, die Notfallmassnahmen mit langfristigen Strategien in Einklang zu bringen. Humanitäre Hilfe allein kann die tieferliegenden Probleme wie Schutz grundlegender Menschenrechte und humanitäre Bedürfnisse, die aus Jahrzehnten von Konflikten, dem Regimewechsel 2021, Naturkatastrophen und der massenhaften Rückkehr afghanischer Flüchtlinge entstehen, nicht dauerhaft lösen.  

Im Rahmen der Bemühungen, dauerhafte Lösungen für vertriebene Bevölkerungsgruppen zu finden, hat UNHCR einen “Whole of Community”-Ansatz etabliert, um ganze Bevölkerungen, einschliesslich der Aufnahmegemeinschaften, zu unterstützen und die lokalen Kapazitäten zur Integration von Flüchtlingen und Rückkehrer*innen zu stärken. 

"Ständig von Leid und Not umgeben zu sein ist herausfordernd"

Wer von der Schweiz aus die Nachrichten aus Afghanistan verfolgt, kann sich angesichts der Situation von Frauen und Mädchen hilflos fühlen. Was tut UNHCR?  

Die Situation für Frauen und Mädchen ist düster. Dennoch schöpfe ich Hoffnung aus der Tatsache, dass UNHCR weiterhin Aktivitäten innerhalb seines Mandats priorisiert, um diese Situation anzugehen. Ich glaube, dass unsere Arbeit bedeutend dazu beitragen kann, die Auswirkungen dieser Politiken zu mildern. 

Als Reaktion auf die systematische Verweigerung der Rechte von Frauen durch die de-facto-Behörden stellt UNHCR sicher, dass Frauen und Mädchen aller Altersgruppen vorrangig Hilfe und Dienstleistungen erhalten. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Unterstützung frauengeführter Haushalte und Frauen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Wir stellen sicher, dass die Initiativen von UNHCR – von finanzieller Inklusion bis hin zu beruflicher Ausbildung – auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind. 

Darüber hinaus trägt UNHCR zur wichtigen Advocacy-Arbeit der Vereinten Nationen für die Rechte von Frauen und Mädchen bei und sucht Unterstützung von externen Partnern, um diese Bemühungen zu verstärken. 

Wie trägt die Schweizer Regierung zur Arbeit von UNHCR in Afghanistan bei?

Über ihre Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat die Schweiz UNHCR in Afghanistan in den letzten drei Jahren mit mehr als 7 Millionen USD direkt unterstützt.  

Neben dem finanziellen Beitrag ist die Unterstützung der Schweiz für afghanische Frauen und Mädchen heute wichtiger denn je. Dazu gehört, dass die Schweiz sich aktiv für die Rechte der Frauen einsetzt, die humanitären und menschenrechtlichen Bemühungen in Afghanistan unterstützt, aber auch dafür sorgt, dass diejenigen, die die Schweiz erreichen, dort Sicherheit finden und die Möglichkeit haben, ihr Leben neu aufzubauen.  

Als Schweizer habe ich oft erlebt, dass der internationale Ruf der Schweiz und ihre starke humanitäre Tradition geholfen haben, gute Beziehungen aufzubauen und Türen zu öffnen. Ich glaube, dass es wichtig ist, diesen Ruf durch konsequentes positives Handeln und entsprechende Politik zu erhalten, besonders in einer Welt, die zunehmend von Krisen betroffen ist. Das anhaltende Engagement der Schweiz für humanitäre Werte wird entscheidend sein, um in diesen schwierigen Zeiten Zusammenarbeit und Unterstützung zu fördern.  

 

Was ist die beste Erfahrung, die Sie bei Ihrer Arbeit für UNHCR gemacht haben?  

Eine der lohnendsten Erfahrungen war für mich die Arbeit im Bereich Resettlement.

Beim Resettlement geht es darum, dauerhafte Lösungen für Flüchtlinge zu finden, die in ihrem ersten Asylland erheblichen Risiken oder Herausforderungen ausgesetzt sind, z.B. Sicherheitsbedrohungen oder begrenzten Möglichkeiten zur Integration und Existenzsicherung.  

Diese Arbeit ermöglichte es mir, den Kontakt zu einem Flüchtling wiederaufzunehmen, der mir seine Leidensgeschichte in einem Zelt unter der heissen Wüstensonne nahe der libyschen Grenze in Tunesien erzählt hatte. Ein paar Monate später traf ich dieselbe Person in Bern wieder, wo sie eine neue Heimat gefunden hatte. Es war sehr erfüllend zu sehen, wie sich ihr Leben positiv veränderte, als sie Sicherheit und Stabilität fand.

Ihr Durchhaltevermögen und die Fortschritte nach so viel Leid haben mich tief berührt und gezeigt, wie wichtig es ist, Menschen in Not einen Zufluchtsort zu bieten, und wie wirksam unsere Hilfe sein kann. 

"Ihr Durchhaltevermögen und die Fortschritte, die Flüchtlinge nach so viel erlittenem Leid erreichen, haben mich tief berührt"

Würden Sie anderen Schweizerinnen und Schweizern empfehlen, sich für UNHCR zu engagieren? Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften, die man haben sollte, um für UNHCR zu arbeiten?  

Die Arbeit bei UNHCR ist unglaublich lohnend und sinnvoll, auch wenn sie manchmal eine Herausforderung darstellt. Durch die Arbeit bei der UNO fühle ich mich mit der Welt um mich herum verbunden, da die meisten globalen Nachrichten in irgendeiner Weise mit dieser Arbeit zu tun haben.  

Flexibilität ist bei UNHCR sehr wichtig, da sich Situationen schnell ändern und wir uns rasch an neue Umstände und Prioritäten anpassen müssen. Diese Anpassungsfähigkeit betrifft nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Privatleben. Wegen der langen Arbeitszeiten, schwierigen Umgebungen und komplexen Probleme ist ein langanhaltendes Engagement für Flüchtlinge notwendig. In den multikulturellen Teams bei UNHCR und in der Zusammenarbeit mit Menschen unterschiedlicher Herkunft ist es entscheidend, verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Mitgefühl hilft uns ausserdem, die Bedürfnisse der Menschen, die wir unterstützen, zu verstehen und effektive Lösungen zu finden. 

Die tiefgreifenden Auswirkungen der Arbeit von UNHCR und die Möglichkeit, das Leben der Menschen wirklich zu verändern, machen diese Arbeit für mich sehr erfüllend.