Von Raumfahrtträumen und Forschungserfolgen – und einer Menge Entschlossenheit
Von Raumfahrtträumen und Forschungserfolgen – und einer Menge Entschlossenheit
«Ich kenne dich nicht, aber ich bin stolz auf dich», sagt Berfin zu Horia. Gerührt erwidert Horia: «Ich bin ebenfalls sehr stolz auf dich. Obwohl wir uns nicht persönlich kennen, spüre ich eine Verbindung zu dir, die ich mit jemandem ohne denselben Hintergrund nie haben könnte.»
Berfin Açig, 26, und Horia Hashimi, 29, sind zwei junge Frauen mit bemerkenswerten Karrieren – eine in der Wissenschaftsdiplomatie und die andere als Doktorandin in Biotechnologie und Bioengineering. Anlässlich des Internationalen Tags der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft tauschen sie ihre Erfahrungen aus, um die berufliche Integration geflüchteter Frauen zu beleuchten.
Fast hätten sich Berfins und Horias Wege aber schon viel früher gekreuzt:
Im Jahr 2001 floh die damals Sechsjährige Horia gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern aus Afghanistan in die Schweiz und kam vorerst in einer Asylunterkunft in Basel unter. Nur zwei Jahre später waren die damals Fünfjährige Berfin und ihre Familie, kurdische Flüchtlinge aus Türkiye, in derselben Asylunterkunft.
Seitdem sind über zwanzig Jahre vergangen und die beiden jungen Frauen sind einen beeindruckenden Weg gegangen.
Von Raumfahrtträumen zur Wissenschaftsdiplomatie
Von klein auf war Berfin vom Weltraum fasziniert und träumte davon, Weltraumraketen zu bauen. Im Gymnasium, wo sie eine von nur zwei Mädchen in der Physikklasse war, scheute sie sich aber oft davor, Fragen zu stellen. Als Kurdin fühlte sie sich ausserdem verpflichtet, sich politisch zu engagieren und studierte daher internationale Beziehungen in Genf.
Von der Politik desillusioniert kehrte sie jedoch bald zu ihrer Leidenschaft für den Weltraum zurück. Sie erkannte die verbindende Kraft des Weltraums als Symbol für die friedliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg – eine Erkenntnis, die ihre Entscheidung für die Wissenschaftsdiplomatie prägte. Während ihres inspirierenden Hochschulpraktikums in der Wissenschaftsabteilung der Schweizer Botschaft in Washington, DC hatte sie schliesslich die Möglichkeit, sich für die internationale wissenschaftlichen Zusammenarbeit zu engagieren, und die Wissenschaft zu nutzen, um Brücken zu bauen und diplomatische Ziele zu fördern.
Wissenschaftliche Erfolge trotz Herausforderungen
Horia studierte zunächst Pharmazeutische Wissenschaften. Auf der Suche nach einem Praktikumsplatz in einer Apotheke stiess sie auf Widerstand. Mit zwanzig Jahren hatte sie beschlossen, ein Kopftuch zu tragen. Trotz guter Noten war ihr bewusst, dass sie sich aufgrund von Vorurteilen mehr würde anstrengen müssen als ihre Kommiliton*innen.
Sie versendete über 60 Bewerbungen und erhielt meist keine Antwort. Erst als sie das Foto aus ihrem Lebenslauf entfernte, wurde sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen und konnte erfolgreich von sich überzeugen. Für ihre Masterarbeit forschte sie anschliessend in einem Labor und erkannte, dass die Forschung ihr mehr Freiheiten bieten würde.
Momentan promoviert sie in Biotechnologie und Bioengineering an der ETH Lausanne, wo sie Fettgewebe erforscht, mit dem Ziel zu verstehen, wie sich das Gewebe selbst reguliert. «Ich habe nur sehr selten offene Diskriminierung erlebt. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich, wenn ich einen Raum betrete, beweisen muss, dass ich dorthin gehöre und dass ich es verdiene, dass man mir zuhört.», erzählt Horia.
Mehrfachdiskriminierung: Barrieren in Bildung und Arbeitsmarkt
Hier zeigt sich eine Mehrfachdiskriminierung: Neben den allgemeinen Hindernissen, mit denen Frauen in der Arbeitswelt konfrontiert sind, stehen Frauen wie Berfin und Horia auch vor zusätzlichen Barrieren aufgrund ihrer Fluchtgeschichte und ihres persönlichen Hintergrunds. Diese Mehrfachdiskriminierung äussert sich in einem erschwerten Zugang zu Bildung, dem Arbeitsmarkt und beruflichen Aufstiegschancen.
Bildung auf allen Ebenen durchbricht Armutskreisläufe, fördert wirtschaftliche Integration und reduziert Ungleichheiten. Ein UNHCR-Bericht zeigt jedoch, dass nur 6% der Flüchtlinge Zugang zu höherer Schulbildung haben, wobei der Zugang von geflüchteten Frauen noch eingeschränkter ist. Stipendienprogramme und andere Fördermassnahmen sind daher besonders wichtig, und die UNHCR-Initiative 15by30 Roadmap strebt bis 2030 an, dass mindestens 15% der Flüchtlinge Zugang zu höherer Bildung haben. Berfin betont dabei nachdrücklich, dass sie nicht als «Musterflüchtling» wahrgenommen werden möchte, da diese Bezeichnung eine meritokratische Haltung impliziert, die den Wert einer Person ausschliesslich an deren erbrachten Leistungen misst. Stattdessen ist es entscheidend, Strukturen zu schaffen, die Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen gleiche Chancen bieten und sie gezielt fördern.
Erfolge und Zukunftsperspektiven
Horia und Berfin konnten auf ihren beruflichen Wegen schon einige besondere Erfolge feiern. Berfins langgehegter Traum, NASA- und SpaceX-Starts persönlich zu erleben, wurde wahr, als sie das Kennedy Space Center besuchte und sogar die Gelegenheit hatte, einen SpaceX Starship Testflug zu beobachten, ein Moment, der ihr zutiefst symbolisch erschien. Nach einem Jahr Hochschulpraktikum in Washington, DC zieht es Berfin nun weiter an die Wissenschaftsabteilung der Schweizer Botschaft in Paris, wo sie sich weiterhin für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit einsetzen wird.
Für Horia war es ein stolzer Moment, als sie als Erstautorin eine wissenschaftliche Publikation veröffentlichte. In ihrem Labor führte sie eine neue Tradition ein: Jedes Mal, wenn jemand eine Publikation veröffentlicht, erhält er oder sie eine Tasse mit dem Titel und einer der Abbildungen darauf gedruckt. So trinkt Horia jetzt ihren Kaffee aus einer Tasse, die ihre eigene Publikation zeigt.
Als Botschaft an andere junge Frauen in der Wissenschaft, insbesondere jene mit Fluchthintergrund, betont Horia: «Du gehörst dazu. Wenn du merkst, dass dir jemand deinen Platz am Tisch absprechen will, musst du für dich einstehen.» Berfin ergänzt: «Ich würde sagen, erinnere dich daran, dass nicht einmal der Himmel die Grenze ist. Du bist nicht nur deine Fluchtgeschichte; du bist viel mehr als das. Du kannst verrückte Träume haben, und es ist möglich, sie zu verwirklichen.»