«Diese Teilnahme kann unsere Arbeit bereichern»
«Diese Teilnahme kann unsere Arbeit bereichern»
Das zweite Globale Flüchtlingsforum wird im Dezember 2023 in Genf stattfinden. Diese Veranstaltung wird gemeinsam vom UNHCR und der Schweiz organisiert. Dort werden sich Repräsentantinnen und Repräsentanten von Staaten, der Zivilgesellschaft, des Privatsektors, von Gemeinden und von Flüchtlingen versammeln.
Zum ersten Mal engagiert sich dieses Jahr auch ein Schweizer Kanton für den Anlass. Der Kanton Wallis nutzt diese Möglichkeit, um sein Programm «Classe d’accueil et d’intégration pour jeunes de la lange étrangère (SCAI)» vorzustellen. Dabei erhofft er sich, Kontakte mit Partnern aus anderen Ländern zu knüpfen.
«Wir fanden es interessant, die Arbeit, die unser Kanton im Bereich der Integration von Flüchtlingen leistet, hervorzuheben.», erklären Jonathan Corbillon, Projektleiter, und Marie-Christine Roh, Koordinatorin des Amtes für Asylwesen bei der Dienststelle für Sozialwesen im Interview.
Was sind die Aufnahme- und Integrationsklassen des Kantons Wallis und wie sind sie aufgebaut?
Jonathan Corbillon (JC): Aufgrund der Schwierigkeiten, mit denen Lernende mit Flucht- oder Migrationshintergrund konfrontiert wurden, wurde im Schuljahr 1992 die erste Aufnahmeklasse gegründet. Seit über dreissig Jahren organisieren die Berufschule Martigny und das Amt für Asylwesen gemeinsam Klassen, von der Einschulung bis zur Integrationsvorlehre.
Basierend auf ihren Sprachkenntnissen und ihrer Ausbildung im Heimatland werden die Schülerinnen und Schüler in Klassen eingeteilt. Die Dauer des begleiteten Lernens kann zwischen einem und drei Jahren variieren und basiert auf den individuellen Bedürfnissen der Lernenden. Ziel ist es, dass die Lernenden in das Arbeitsleben oder die Sekundarschule integriert werden können oder mithilfe der Klassen den Einstieg ins Berufsleben finden.
Wie werden die Klassen organisiert?
Marie-Christine Roh (MCR): Schülerinnen und Schüler verschiedenster Herkunft leben und arbeiten zusammen, um ihre Ziele erreichen zu können. Aus pädagogischer Sicht sollen die unterrichteten Fächer die Lücken der Lernenden schliessen, damit sie gut in die Sekundarstufe II integriert werden oder eine Ausbildung beginnen können.
Vom Französischunterricht FLE (Französisch als Fremdsprache) über Mathematik bis hin zu interkulturellen und staatskundlichen Themen werden die Lehrpläne in Verbindung mit dem Westschweizer Lehrplan für die obligatorischen Schulen erstellt.
Heute besuchen fast 600 Schülerinnen und Schüler die Aufnahmeklassen im französischsprachigen Teil des Kantons und jedes Jahr verlassen mehr als 100 die Institution.
Der Mehrwert unseres Projekts besteht darin, dass es vollständig in die Walliser Berufsbildung und Schulen integriert ist.
«Der Mehrwert unseres Projekts besteht darin, dass es vollständig in die Walliser Berufsbildung und Schulen integriert ist.»
Warum engagiert sich der Kanton Wallis mit diesem Projekt zusammen mit der Schweizer Regierung und den zivilgesellschaflichen Akteuren im Hinblick auf das Globale Flüchtlingsforum?
JC: Diese Gelegenheit erlaubt es uns, von den Projekten der zivilgesellschaftlichen Akteure zu erfahren und so Synergien zwischen den Partnern zu erzeugen.
Oft arbeiten Akteure, die die Integration von Jugendlichen fördern, getrennt voneinander, was wir sehr bedauern. Dieses Forum kann unsere Arbeit enorm bereichern und neue Projekte, die aus dem Austausch entstehen, ins Rollen bringen.
Frau Roh, warum präsentieren Sie Ihr Programm für Aufnahme- und Integrationsklassen an dieser internationalen Konferenz?
MCR: Eine Präsentation an dieser Konferenz könnte uns in anderen Strukturen sichtbarer machen, aber vor allem werden wir dadurch von den Erfahrungen anderer lernen. Der Mehrwert der Konferenz ist, dass die dortigen Teilnehmenden sehr vielfältig und breit gefächert sind. Das gilt sowohl auf Schweizer und vor allem auch auf internationaler Ebene. Egal ob Gemeinden, Vereine oder staatliche Einrichtungen, alle Parteien tragen dazu bei, dass die Perspektiven unserer Arbeit weiter werden.
«Eine Präsentation am Forum könnte uns sichtbarer machen.»
Inwiefern können andere international engagierte Akeure im Forum von Ihrer persönlichen Erfahrung in diesem Bereich profitieren?
MCR: Mit über 30 Jahren Erfahrung in den Bereichen der Aufnahme, der Integration und der Vorbereitung der Ausbildung von Flüchtlingen hat sich die SCAI ein gewisses Fachwissen angeeignet. Andere Länder könnten durch den Austausch mit uns Inspiration für gewisse Strukturen finden, wie sie in einem traditionellen Aufnahmeland wie der Schweiz seit Jahrzehnten bestehen.
Wir sind uns unserer Good Practices bewusst. Daher scheint es uns umso wichtiger, diese an andere Akteure weiterzugeben und sie zu unterstützen, sofern sie ähnliche Strukturen in einem anderen Umfeld auf einem anderen Kontinent aufbauen möchten.
Was erhoffen Sie sich aus dieser Zusammenarbeit und dem Austausch?
JC: Good Practices, konkrete Beispiele, Herausforderungen, Gedanken über allgemeine Themen... wir wollen von der reichen Vielfalt eines solchen Forums profitieren. Alle, die an diesem Event teilnehmen, können unseren Alltag durch ihre Erfahrungen, Kenntnisse und Inputs bereichern.
Wir sind überzeugt, dass wir durch eine Teilnahme unsere Erfahrungen teilen und gleichzeitig von neuen erfahren können, egal in welcher Form wir am Forum dabei sein werden.
Schliesslich darf die Bedeutung des aufgebauten Netzwerks nicht vernachlässigt werden. Wir würden sehr gerne nach diesem Austausch Kommissionen gründen, wo Kontakte gepflegt werden können, damit die Begleitung von Flüchtlingen in der Schweiz und in Europa verbessert werden kann!
Grosse Anpassungsfähigkeit
Seit seinem dreissigjährigen Bestehen hat uns das Projekt der Aufnahme- und Integrationsklassen für Jugendliche mit fremder Muttersprache (SCAI) vor allem gelernt, mit vielen unvorhergesehenen Ereignissen umzugehen. «Im Hinblick auf immer wieder neu aufkommende geopolitische Ereignisse und neue Migrationsströme erfordert die Arbeit in Integrationsprojekten mit jungen Flüchtlingen und Migranten Reaktions- und Anpassungsfähigkeit.», stellt der Projektverantwortliche Jonathan Corbillon fest.
Die Dienststelle für Sozialwesen und die Dienststelle für Berufsbildung des Kantons Wallis müssen daher manchmal kurzfristig zusammenarbeiten, um Räumlichkeiten zu finden, Lehrkräfte einzustellen, Schülerinnen und Schüler einzustufen und Klassen zu gründen. Dies alles innerhalb weniger Wochen oder sogar Tagen, sodass die Jugendlichen möglichst schnell in eine schulische Struktur integriert werden können. Besonders im letzten Jahr war dies das Fall, als viele aus der Ukraine geflohene Kinder ankamen.
Abgesehen von diesen organisatorischen Aspekten erfordert jede Klasse eine besondere Betreuung. Laut Marie-Christine Roh «besteht die grösste Herausforderung darin, sich ständig an die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler und ihre unterschiedlichen Hintergründe anzupassen. Die Lehrpläne und die angewandten Methoden werden ständig hinterfragt und angepasst.» Während jede Klasse in unterschiedlichem Tempo auf die gleichen Ziele hinarbeitet, werden verschiedene Methoden angewandt. So wird versucht, alle Schülerinnen und Schüler so weit wie möglich auf ihrem Weg zur beruflichen Integraiton zu begleiten.
Eine willkommene Beteiligung
Myriame Zufferey, Leitern des Bereichs Migration bei der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), reagiert auf die Entscheidung des Kantons Wallis, sich im Hinblick auf das Globale Flüchtlingsforum zu engagieren.
Was denken Sie über die Entscheidung des Kantons Wallis, sich an diesem Prozess zu beteiligen?
Myriame Zfferey: Die Kantone engagieren sich für die Aufnahme und die Integration von Personen, die in der Schweiz Schutz suchen. Dadurch werden verschiedene und innovative Projekte ins Leben gerufen. Daher bietet sich die Gelegenheit, diese auf internationaler Ebene bekannt zu machen.
Dadurch kann der Kanton auch neue Synergien ausserhalb der Schweiz schaffen. Dank diesem Austausch können Good Practices in verschiedenen Regionen weitergeführt werden und so einen direkten Einfluss auf Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten haben.
Warum sollte sich ein Kanton an einer internationalen Konferenz engagieren?
Die Herausforderungen im Zusammenhang mit Migration betreffen die ganze internationale Gemeinschaft. Die Suche nach Lösungen ist komplex und wird zu einem grossen Teil von lokalen Akteuren getragen. Es ist daher wichtig, dass alle Ebenen (Einzelpersonen, Städte, Kantone, Länder) bei internationalen Treffen gehört und vertreten werden.
Diese verschiedenen Perspektiven bleiben unerlässlich für die Entwicklung einer gemeinsamen Vision, die zu einer konstruktiven Zukunft beiträgt.