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Vom inneren Frieden zur kollektiven Heilung

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Vom inneren Frieden zur kollektiven Heilung

16 May 2024 Auch verfügbar auf:
Sanela Music möchte die schmerzhafte Vergangenheit aufarbeiten und langfristigen Frieden fördern. © Sanela Music

“Ich habe mich lange gefragt, wie jemand plötzlich seinen Nachbarn angreifen kann, der gleich nebenan wohnt. Ich denke, Ängste und negative Geschichten können dazu führen, dass wir andere als weniger menschlich wahrnehmen und solche Handlungen zulassen”, meint Sanela Music. Geboren im ehemaligen Jugoslawien, wurde Sanelas Kindheit durch den Ausbruch des Konflikts 1992 jäh unterbrochen, als sie zehn Jahre alt war. Heute setzt sie sich mit ihrer friedensfördernden Stiftung SANCHILD dafür ein, hetzerische Darstellungen zu bekämpfen und inklusive Gemeinschaften zu fördern. 

Der Krieg war für das junge Mädchen unbegreiflich. Auf der Flucht aus Bosnien und Herzegowina versteckten sich Sanela, ihre Mutter und die drei jüngeren Schwestern in Wäldern und lebten in verschiedenen Flüchtlingslagern. Die Trennung von ihrem Vater, der zurückblieb, um anderen zu helfen, hinterliess eine bleibende Narbe. “Flüchtlinge mögen zwar aus Kriegsgebieten entkommen, aber die Narben des Konflikts bleiben und prägen unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen noch lange nachdem die Waffen verstummt sind”, sagt Sanela.  

Inmitten des Aufruhrs erinnert sie sich an Momente unerwarteten Mitgefühls und Solidarität. So die italienischen Freiwilligen, die ihr und anderen Kindern in einem Flüchtlingslager in Slowenien Trost und Freude brachten - eine Erfahrung, die sie zutiefst veränderte.    

Eine Reise des Überlebens und der Resilienz   

Als Sanela und ihre Familie 1993 in die Schweiz kamen, fanden sie Zuflucht und einen Hoffnungsschimmer. Ein Jahr später erreichte sie die Nachricht, dass ihr Vater verletzt und in einem Konzentrationslager in Bosnien inhaftiert war. Dank der Hilfe des Roten Kreuzes kam er schliesslich zu seiner Familie in die Schweiz.   

Der Start in einem neuen Land war sehr schwierig. Nachdem sie das Wichtigste gesichert hatten, musste die Familie versuchen, sich in die Gesellschaft zu integrieren und Hindernisse wie kulturelle Unterschiede, Diskriminierung und Vorurteile zu überwinden. Sie mussten eine neue Sprache lernen, Schulbildung nachholen, nach Arbeit suchen und ihre Qualifikationen anerkennen lassen. Inmitten dieser Herausforderungen war es für sie wichtig, ihre Würde zu bewahren.  

Individuelle und kollektive Wunden heilen   

Es ist nicht leicht, die Last vergangener Traumata mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Einklang zu bringen. Aber in diesen Widrigkeiten stecken auch Chancen für persönliches Wachstum und Widerstandsfähigkeit. Sanela betont, wie wichtig es ist, sich mit den seelischen Wunden des Krieges auseinanderzusetzen, um zu heilen und sich zu erneuern. 

“Sich in zerbrochenen Gemeinschaften wieder Vertrauen und sozialen Zusammenhalt aufzubauen, ist ein langer und oft schmerzhafter Prozess”, räumt Sanela ein. “Viele Flüchtlinge, mich eingeschlossen, tragen die Last der Schuld der Überlebenden. Wir fragen uns, warum gerade wir überlebt haben, während so viele andere umgekommen sind. Diese Schuldgefühle machen es schwer, unseren Schmerz zu verarbeiten. Oft verstecken wir unsere Emotionen mit einem obligatorischen Gefühl der Dankbarkeit. Dennoch tauchen diese Gefühle unweigerlich in verschiedenen Formen wieder auf und verlangen nach einer Lösung, wenn wir inneren Frieden finden wollen”.   

SANCHILD-Stiftung: Stärkere Gemeinschaften aufbauen und nachhaltigen Frieden fördern  

Aus der Erfahrung ihres eigenen Wegs der persönlichen Heilung fühlte sich Sanela veranlasst, die Ursachen von Gewalt und Spaltung anzugehen und gründete die SANCHILD Foundation. Diese widmet sich der Förderung von Friedensinitiativen in Bosnien, befähigt lokale Gemeinschaften zur Heilung generationsübergreifender Wunden, und fördert interkulturellen Dialog.  

“Der Krieg beeinflusst das Leben der Menschen immer noch. Und es ist zu befürchten, dass er sich sogar auf künftige Generationen auswirkt. Deswegen wollen wir versuchen, die schrecklichen Erfahrungen der Vergangenheit gemeinsam zu überwinden. Hierfür ist es wichtig, Mitgefühl und die Bereitschaft zur Versöhnung zu entwickeln. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der alle Bevölkerungsgruppen friedlich und respektvoll zusammenleben können”, erklärt Sanela.   

Eines der Kernprojekte ist die HARMONY-Initiative, die in Zusammenarbeit mit der Rotary Foundation entwickelt wurde. Diese befähigt lokale Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen und Aktivist*innen, ihre eigenen friedensfördernden Projekte in ihren Gemeinschaften umzusetzen. So kann das Projekt zu Veränderungen in der gesamten Balkanregion beitragen. 

Für die Zukunft plant Sanela, ihre Bemühungen zur Unterstützung von Flüchtlingen in der Schweiz durch Projekte zur Förderung der Integration und zur Heilung von Traumata auszuweiten. Sie ist zutiefst besorgt über weltweit verbreitete Darstellungen, die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen und Migrant*innen schüren. Für Sanela ist der Dialog unerlässlich, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder willkommen ist und um dauerhaften Frieden und Stabilität zu fördern. Dies ist nicht nur in nach Konflikten notwendig, sondern in allen Gemeinschaften, in denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenkommen.