Das Mädchen, das ein Flüchtlingsboot rettete und Olympia-Schwimmerin wurde
Das Mädchen, das ein Flüchtlingsboot rettete und Olympia-Schwimmerin wurde
Nein, das Wort „Heldin” mag Yusra Mardini nicht. Zumindest nicht für sich. „Wir haben uns nicht ausgesucht, zu fliehen“, sagt sie. „Wir hatten einfach keine Wahl. Niemand hatte eine Wahl.“ Yusra Mardini, das ist das Mädchen, das aus Syrien fliehen musste und deren Schwimmtalent, deren Ausdauer und nicht zuletzt deren Mut ein ganzes Boot voller Menschen rettete. Das ist das Mädchen, das jetzt in Berlin trainiert und vor zwei Jahren in Rio an den Olympischen Spielen teilnahm. Und das Mädchen, deren Leben jetzt in Hollywood verfilmt wird. Aber eine Heldin? „Nein.“
Yusra ist gerade 20, aber sie hat schon so viel erlebt, dass jetzt ihre Biographie erscheint. „Ich wollte immer schwimmen. Immer“, sagt sie bei der Vorstellung des Buches in Berlin. „Mein Vater war Schwimmtrainer und dann Schwimmer. Mein Schwester Sarah schwimmt, die ganze Familie!“ Natürlich schaute sie alle vier Jahre Olympia. „Und dann kam Michael Phelps!“, sagt sie schwärmerisch und das Mädchen, das schon so viel erlebt hat, klingt wie ein Teenager. „Wie er schwamm, so… so… perfekt!“, sagt sie über den erfolgreichsten Sportler der Olympiageschichte. Da wurde ein Traum geboren: Olympia.
Doch während das kleine Mädchen trainierte, brach der Krieg aus. „Es wurde fast normal. Ich rief meine Mutter an und sagte, ich komme heute später, da ist wieder eine Bombe explodiert.“ Als dann ein Blindgänger in ihr Schwimmbecken fiel, war die Entscheidung für die Eltern klar: Flucht!
Viele Flüchtlinge, die über das Mittelmeer Europa zu erreichen suchen, können nicht schwimmen. Man mag sich deren Schrecken bei der Überfahrt in wackeligen, überfüllten Booten vorstellen. Yusra kann schwimmen. Aber in dem kleinen Boot sind viel zu viele Menschen. Und es ist leck. Verzweifelt versuchen alle, das Wasser herauszuschöpfen, nehmen Schuhe, Becher, einfach die Hände. Als es kaum noch Hoffnung gibt, springen Yusra und ihre Schwester ins Wasser. Damit das Boot leichter wird. Damit sie das Boot stabilisieren können. Zwei Stunden geht das so, vielleicht drei. Dann sind sie in Griechenland.
„Manche sagen, wir hätten das Boot gezogen. Ich hätte mir ein Seil um den Bauch gebunden und das Boot an Land geschleppt.“ Sie lächelt verlegen. „Ach Quatsch! Wir haben nur das getan, was wir tun konnten. Wir wollten einfach alle überleben.“ Und die anderen seien nun einmal Nichtschwimmer gewesen.
Auf der Balkanroute schlug sie sich dann bis Berlin durch. Auch hier wollte sie schwimmen. „Dann zeigt mal, was ihr draufhabt“, sagte Jens Spannekrebs vom Club Wasserfreunde Spandau. Er gibt zu, dass er skeptisch war. „Manche Flüchtlinge sagen, dass sie gute Schwimmer sind und dann… naja, einen mussten wir wirklich mal aus dem Becken retten.“ Als aber Yusra und ihre Schwester Sarah bei ihm ihre Bahnen ziehen, stimmt er sofort zu, die beiden zu trainieren.
Währenddessen formt das Internationale Olympische Komitee eine Mannschaft nur aus Flüchtlingen für Rio 2016. Irgendwann kommt in Spandau ein Brief an, dass Yusra offiziell für Olympia nominiert ist. „Die Welt stand plötzlich Kopf“, sagt sie, anscheinend immer noch fassungslos. Sie fuhr tatsächlich zu Olympia! Für eine Medaille reichte es nicht. Aber he, dabei sein ist alles!
Yusra Mardini ist mittlerweile Good Will Ambassador des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die jüngste. Sie reiht sich ein mit Angelina Jolie, Cate Blanchett, David Morrissey und Khaled Hosseini, traf den Papst und Barack Obama. Weltweit wirbt sie für den Schutz und die Unterstützung von Flüchtlingen, zuletzt in Sizilien. „Die Arbeit von UNHCR ist so großartig“, sagt sie in Berlin. „Ich muss ihnen einfach helfen, weil sie so viel für Flüchtlinge machen. Ich habe in Italien die Geschichten von Flüchtlingen gehört und ich musste weinen. Es war herzzerreißend. Meine Geschichte ist nichts im Vergleich zu dem, was diese Menschen mitgemacht haben.“ Deshalb müsse sie helfen. „UNHCR ist so wichtig. Wenn ich etwas tun kann, um ihnen nur ein bisschen zu helfen, werde ich es tun!“:
Ihr Buch “Butterfly” liegt jetzt in den Läden und wird nun auch verfilmt. Aber was hat sie für Träume? „Tokio!“, sagt sie und meint natürlich die Olympischen Spiele in zwei Jahren. Als Teil einer Flüchtlingsmannschaft? Warum nicht? „Ich bin mittlerweile stolz, ein Flüchtling zu sein!“ sagt sie. Die Menschen im überfüllten Saal in Berlin nicken anerkennend. Yusra ist Flüchtling, Sportlerin, Botschafterin und auch Inspiration. Denn als alles vorbei ist, sagt ein kleines Mädchen zu ihrem Papa: „Sie ist eine Heldin!“