Frauen auf der Flucht
Frauen auf der Flucht
Umso wichtiger ist es, ihren Zugang zu sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe zu fördern, sie vor Gewalt zu schützen und ein besonderes Augenmerk auf die Anliegen geflüchteter Frauen und Mädchen zu richten.
Frauen und Mädchen können aus den gleichen Gründen verfolgt werden wie Männer: politisches Engagement, Glaube oder Zugehörigkeit zu einer spezifischen ethnischen oder sozialen Gruppe. Aber sie sind auch mit zusätzlichen Risiken wie geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt konfrontiert. Diese wird oft aktiv als Verfolgungshandlung verwendet oder als Waffe im Krieg eingesetzt.
Darüber hinaus führt die Zerstörung staatlicher oder sozialer Strukturen und Netzwerke in bewaffneten Konflikten, aber auch auf der Flucht besonders häufig zu Gewalt und Diskriminierung von Frauen und Mädchen. Frauen haben in diesem Kontext oft selbst zu grundlegenden Rechten – Sicherheit, Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, Nationalität und Bildung – nur eingeschränkten Zugang. Schon alltägliche Tätigkeiten wie Wasser holen oder zur Toilette gehen können vertriebene Frauen und Mädchen der Gefahr von Missbrauch aussetzen. Häufig fehlt die Sensibilität für geschlechtsspezifische Bedürfnisse.
Trotz dieser Hindernisse zeigen Frauen und Mädchen grosse Widerstandsfähigkeit, Erfindergeist und Mut bei der Bewältigung dieser Probleme. Sie sind es oft, die die Kraft aufbringen zum Wiederaufbau nicht nur ihres eigenen Lebens, sondern auch des Lebens ihrer Familie.
UNHCR bemüht sich, die Bedürfnisse von Flüchtlingsfrauen bei allen Programmen zu berücksichtigen. Dazu gehört die Bereitstellung sicherer Unterkünfte und separater sanitärer Einrichtungen sowie Hilfe beim Einrichten fairer Systeme zur Verteilung von Nahrungsmitteln. UNHCR organisiert auch Programme, die Frauen und Mädchen helfen sollen, Führungskompetenzen zu verbessern, Hindernisse bei der Bildung zu überwinden und Chancen zu nutzen.
Schutzmechanismen und internationaler rechtlicher Rahmen
Die Genfer Flüchtlingskonvention und die internationalen Verträge zum Schutz der Menschenrechte schützen Männer und Frauen gleichermassen. Dennoch wurden frauenspezifische Fluchtgründe lange Zeit bei der Auslegung des Verfolgungsbegriffs der Konvention nicht genügend berücksichtigt. Historisch gesehen wurde die Flüchtlingsdefinition oft aus männlicher Perspektive interpretiert, was dazu geführt hat, dass die Verfolgung von Frauen und die daraus resultierende Notwendigkeit nach Flüchtlingsschutz nicht anerkannt wurden. In den letzten Jahrzehnten gab es hier jedoch erhebliche Fortschritte. Auch wenn das Geschlecht in der Flüchtlingsdefinition nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist heute in Fachkreisen allgemein anerkannt, dass es ein Verfolgungsgrund sein und sowohl die Art der Verfolgung als auch deren Auswirkungen beeinflussen kann. Damit sich dies in der Praxis der Staaten im Umgang mit Flüchtlingsfrauen niederschlägt, bedarf es indes weiterer Anstrengungen.
Eine wichtige Rolle spielen hierbei folgende Menschenrechtsverträge:
Die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW oder auch Frauenrechtskonvention genannt) schützt speziell die Rechte von Frauen. Ihr Ziel ist es, Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen zu beenden und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen.
Auf europäischer Ebene ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) das umfassendste rechtsverbindliche Instrument zum Schutz von Frauen vor jeglicher Form von Gewalt. Die Frauenrechtskonvention und die Istanbul-Konvention schützen alle Frauen, auch diejenigen, die unter das Mandat von UNHCR fallen.
Schutz von Frauen und Mädchen in der Schweiz
Die Schweiz ist Vertragsstaat der oben erwähnten internationalen Verträge. Eine besondere Bestimmung im Schweizer Asylrecht verpflichtet die Behörden, frauenspezifischen Fluchtgründen Rechnung zu tragen. Das neue Asylsystem hat ausserdem Verbesserungen bei der Unterbringung und Betreuung asylsuchender Frauen gebracht.
In der Praxis werden jedoch speziell gegen Frauen gerichtete Verfolgungshandlungen wie häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt und Menschenhandel nicht immer als Fluchtgrund anerkannt. Es gibt ausserdem weiterhin Handlungsbedarf bei der Unterbringung, sowohl in den Bundeszentren als auch in den Kantonen. Mehrere Berichte von 2019 zeigten, dass die Identifizierung und Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt verbessert werden muss. Nach Schätzungen von Fachorganisationen sind davon mehr als die Hälfte aller asylsuchenden Frauen und Mädchen betroffen. Bemängelt wird auch, dass der Schutz vor Übergriffen in den Unterkünften nicht durchwegs gewährleistet sei.
Asylsuchende Frauen haben besondere Bedürfnisse
Besondere Bedürfnisse können entstehen, wenn eine Person vergewaltigt oder Opfer von Menschenhandel geworden ist. Dies trifft in vielen Fällen auf Frauen und Kinder zu.
UNHCR-Anliegen
UNHCR begrüsst die Verbesserungen, die seit der Einführung des neuen Asylsystems und im Zusammenhang mit den erwähnten Berichten eingeleitet wurden. Weitere Schritte sind jedoch nötig um zu gewährleisten, dass der Geschlechteraspekt in allen Phasen des Asylverfahrens berücksichtigt wird.
Basierend auf einer Studie von 2020 empfiehlt UNHCR die Anwendung von Standardverfahren zur frühzeitigen Identifikation von Frauen, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wurden. Ein solches Instrument hat das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) unter Mitwirkung von UNHCR entwickelt. Daneben können Standardabläufe sicherstellen, dass die Informationen aller Akteure zusammengeführt werden. Wenn erforderlich, sollten die Behörden Fachstellen hinzuziehen. Zudem sollten alle involvierten Akteure eine Schulung erhalten, damit sie auf Anzeichen achten.
Sind Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt erkannt, müssen sie adäquat unterstützt werden – sowohl medizinisch und psychologisch als auch rechtlich. Dazu gehört etwa, dass alle Frauen im Asylprozess Anspruch auf ein rein weibliches Befragungsteam haben. Opfern von Menschenhandel sollte zudem eine Erhol- und Bedenkzeit gewährt werden.
Im Entscheidprozess ist die Genfer Flüchtlingskonvention geschlechtssensibel zu interpretieren und sicherzustellen, dass geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als Form der Verfolgung anerkannt wird. Bei der Prüfung des verfügbaren Schutzes im Herkunftsland sollte berücksichtigt werden, ob Frauen in der Praxis der gleiche Zugang zu Schutz gewährt wird.
UNHCR-Empfehlungen
Eine Zusammenfassung der Empfehlungen zum Schutz von asylsuchenden Frauen und Mädchen im Anschluss an das Postulat Feri. Dokument erstellt von Anne-Laurence Graf, mit Unterstützung von Tina Büchler – Oktober 2021
Weiterführende Informationen
Beratung für Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt und Präventionsmaterialen
Opferschutz und Beratung für Migrantinnen
Vollständiges Abkommen zu geschlechtsspezifische Verfolgung
Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 16.3407 von Nationalrätin Yvonne Feri
Bericht des SEM zum Bundesratsbericht in Erfüllung des Postulats 16.3407 von Nationalrätin Yvonne Feri
Frauen und Mädchen auf der Flucht vor Konflikten: Gender und die Interpretation der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951