Wie Haile Kassa Hailu Flüchtlingen mehr Gehör verschaffen will
Wie Haile Kassa Hailu Flüchtlingen mehr Gehör verschaffen will
Mein Job ist es, Kontakt zu den Flüchtlingsgemeinschaften in der Schweiz herzustellen. Zuerst werde ich ein «community mapping» erstellen. Ich werde mir also einen Überblick verschaffen über die existierenden Strukturen. Fast überall gibt es Flüchtlingsvereinigungen. Ich möchte herausfinden, wie sie organisiert sind und was sie beschäftigt. Das Ziel ist, die Vernetzung mit Behörden und NGOs zu fördern, damit Flüchtlinge sich besser einbringen können. Geplant sind zum Beispiel Workshops. Wir möchten auch eine Dialoggruppe ins Leben rufen: Eine Gruppe von Flüchtlingen, die UNHCR bei ausgewählten Projekten beraten und begleiten kann.
Wie hast du es geschafft, dich in der Schweiz zurechtzufinden? Welche Schwierigkeiten sind dir begegnet?
Am Anfang war es sehr schwierig. Ich hatte noch keinen Aufenthaltsstatus, wollte aber nicht einfach herumsitzen und warten. Also habe ich versucht, etwas zu tun. Am Ende habe ich es geschafft: Ich konnte an der Universität Bern Wirtschaft studieren. Aber es war ein langer Weg, bis das geklappt hat. Bis ich Unterstützung gefunden habe für Studiengebühren und Fahrkosten. Alles war kompliziert. Ich lebte in einer abgelegenen Unterkunft auf einem Berg. Um rechtzeitig zu den Vorlesungen zu kommen, musste ich eine Stunde zu Fuss gehen, weil der erste Bus zu spät fuhr. Aber es ging! Mein Motto ist: «Gib niemals auf.»
Du hast stets auch andere Flüchtlinge unterstützt. Wie kam es dazu?
Weil ich besser Englisch konnte als viele andere Flüchtlinge, habe ich von Anfang an mit Dolmetschen geholfen. Später habe ich andere bei Behördengängen und bei der Jobsuche unterstützt. Für mich war es auch nicht einfach, nach dem Studium einen Job zu finden. Aus einer zufälligen Begegnung ergab sich dann ein Praktikum bei einer kleinen NGO. Das gab mir Hoffnung. Später arbeitete ich für eine Organisation, die sich um jugendliche Flüchtlinge kümmert, und organisierte Workshops. Ich habe auch bei einem Verein als Kursleiter im Arbeitsintegrationsprogramm für Flüchtlinge gearbeitet. Ehrenamtlich engagiere ich mich für verschiedene Initiativen, die Flüchtlinge «empowern». Ich habe auch Projekte initiiert, die helfen, Flüchtlingsgemeinschaften zu stärken.
Was betrachtest du als grösste Herausforderung bei deiner neuen Aufgabe für UNHCR?
Den Umgang mit Erwartungen. Vor allem mit den Erwartungen von Flüchtlingen. Viele von ihnen sind frustriert. Klar, zuerst sind sie einfach nur froh, dass sie in Sicherheit sind. Doch dann geht es darum, ein neues Leben aufzubauen. Und da stossen sie auf viele Hindernisse. Sie möchten dann Lösungen, zum Beispiel einen Job, und nicht lange Prozesse und Diskussionen. Damit werde ich umgehen müssen.
Warum findest du es wichtig, Flüchtlinge stärker einzubeziehen?
Stell dir die Schweiz als WG vor: Ein paar Menschen, die zusammenwohnen, und einer von ihnen ist ein Flüchtling. Sie haben ein gemeinsames Wohnzimmer und eine gemeinsame Küche. Was geschieht, wenn die anderen den Flüchtling ausschliessen? Er fühlt sich nicht verantwortlich für die WG und trägt nichts dazu bei, dass der Kühlschrank gefüllt und das Wohnzimmer aufgeräumt ist. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht dazugehöre, bringe ich mich nicht ein. Ob es uns gefällt oder nicht: Wir leben hier zusammen. Betrachten wir es als Chance! Diversität ist ein Gewinn.
Was würdest du anderen Organisationen empfehlen? Wie können sie Flüchtlinge besser einbeziehen?
Ich würde ihnen empfehlen, ihre Einstellung zu überprüfen und offen zu sein. In den Köpfen ist dieses Bild von Flüchtlingen als schwache, ungebildete, hilfsbedürftige Menschen. Das ist nicht die ganze Wahrheit. Wir haben uns durchgeschlagen, wir sind stark. Wir haben etwas zu sagen. Wenn es um uns geht, sind wir die Experten. Organisationen sollten mehr mit uns sprechen statt nur über uns.
Was würdest du Flüchtlingen empfehlen? Wie können sie in der Schweiz Gehör finden?
Flüchtlingen empfehle ich, die Initiative zu ergreifen. Viele sind seit Jahrzehnten in der Schweiz und fühlen sich trotzdem nicht zuhause. Ich wollte nicht, dass mir das passiert. Die Erwartungen sind oft von der eigenen Kultur geprägt. Wenn du Gast in Äthiopien bist, gibt man dir sofort zu verstehen, ob du willkommen bist oder nicht. In der Schweiz ist das anders. Hier musst du den ersten Schritt machen und auf andere zugehen. Das musste ich auch zuerst lernen. Ich habe ein positives Menschenbild: Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen nett sind, überall auf der Welt. Ob ich irgendwo dazu gehöre oder nicht, liegt also auch an mir.