Portrait: Bündner Verein für Integration
Portrait: Bündner Verein für Integration
Das sagt Illknur, eine junge Frau, die vor vier Jahren die Türkei aus politischen Gründen verlassen musste und sich mittlerweile für den Bündner Verein für Integration engagiert. Sie hat in der Türkei ein Jura-Studium abgeschlossen und weiss, wie schwierig es auch für hochgebildete Flüchtlinge ist, im Schweizer Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Ähnlich geht es ihrem Freund Davut, der ebenfalls Mitbegründer des Bündner Vereins für Integration ist. Er floh vor fünf Jahren mit seiner Familie aus der Türkei und musste ebenfalls realisieren, dass es trotz seines Doktordiploms als Bauingenieur schwierig werden würde, in diesem Bereich eine Anstellung zu finden.
Trotzdem haben beide die Hoffnung nie aufgegeben und andere Wege gesucht, um sich zu integrieren. So kam es, dass Davut Mitglied des Flüchtlingsparlaments wurde, wo er in der Bildungskommission auf andere hochgebildete Flüchtlinge traf. Gleichzeitig stellten Illknur und Davut gemeinsam mit Freunden und Freundinnen fest, dass immer mehr türkische Flüchtlinge mit Hochschulabschlüssen in die Schweiz kommen. Ihr Netzwerk wurde immer grösser und sie verspürten den Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und sich zu engagieren. Vor diesem Hintergrund wurden der Bündner Verein für Integration und das Projekt Karriere-Desk geboren. Der apolitische und non-profitorientierte Verein bietet diverse Aktivitäten in den Bereichen Kultur, Sprache, Lernen und Berufsbildung an. «Angefangen haben wir mit einem Fest für die Kinder aus dem Asylheim. Das war ein grosser Erfolg, auch Kinder von ausserhalb sind gekommen.» erinnert sich Ilknur. «Nun möchten wir erreichen, dass gut ausgebildete Flüchtlinge ihr Wissen und ihre Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt nutzen können,» fügt Davut hinzu. Also schrieben sie einen Projektentwurf für «Karriere-Desk», der von der Fachstelle Integration Graubünden akzeptiert wurde. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk in der Schweiz und Liechtenstein haben sie damit überzeugt.
Ein wichtiger Schritt zurück in die Normalität und einem selbstständigen Leben ist der Wiedereinstieg ins Berufsleben. Jedoch wissen viele Flüchtlinge nicht, wie sie zu einem Arbeitsplatz kommen, der ihrer Qualifikation entspricht. Hier setzt das Projekt «Karriere-Desk» an. Es bringt 28 ausgewählte hochqualifizierte Flüchtlinge mit Fachkräften, die erfolgreich im Schweizer Arbeitsleben angekommen sind, zusammen. Während fünf Monaten sollen die geflüchteten Personen von individuellen Mentoring-Angeboten, Workshops, Seminaren und Beratungen zur Erstellung des Lebenslaufs und Motivationsschreibens profitieren. Ilknur und Davut sagen: «Es sind viele Berufsbereiche vertreten: Informatik, Technik, Medizin, Banking und Finance. Wir suchen noch sechs Mentoren, insbesondere für eine Person, die Flugbegleiter werden möchte.» In diesem Jahr ist mehr als die Hälfte der Teilnehmenden aus der Türkei, aber auch Personen aus Afghanistan, Syrien und Indonesien gehören dazu. Gleichzeitig ist es dem Verein gelungen, Kontakt mit «Innovage Graubünden» und «hi/coders» aufzubauen, um Expertise aus den Bereichen Wirtschaft, Industrie, Verwaltung und Informatik miteinzubeziehen.
Dank diesem Projekt können sich die Flüchtlinge beruflich orientieren und sich so besser integrieren. Sowohl die bereits im Arbeitsmarkt integrierten als auch die neuangekommenen Personen sollen vom Projekt Karriere-Desk profitieren. Für die erste Gruppe ist es sehr wertvoll, anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu helfen und sich so weiterzuentwickeln. Die zweite Gruppe kann nebst den Dienstleistungen des Projekts, nützliche Tipps erhalten und ein Netzwerk in ihrem Fachgebiet und darüber hinaus aufbauen. Illknur erklärt, warum sie gerne hilft: «Je mehr ich den Leuten helfe und zur Gesellschaft beitrage, desto mehr fühle ich mich der Schweiz zugehörig.»
Beruf, Sprache und Integration hängen zusammen, sind sich Ilknur und Davut einig: «Die Sprache ist wichtig, denn so hat man mehr Möglichkeiten. Aber es braucht auch viel Mühe.» Und obwohl die Integration in eine neue Gesellschaft nicht einfach ist und sich beide viel mehr anstrengen mussten, als sie dachten, bleibt Ilknur positiv: «Es gibt immer eine Möglichkeit und es gibt immer hilfsbereite Personen. Das Wichtigste ist, dass man die Hoffnung nicht verliert.»
Hoffnung fern der Heimat soll der der Karriere-Desk für die 28 ausgewählten Flüchtlinge sein. Für die Zukunft wünschen sich die Mitglieder des Bündner Vereins für Integration aber auch, dass die Diplomanerkennung einfacher und unbürokratischer wird. Und: «Arbeitgeber sollten offener für neue Perspektiven und geduldiger sein.»
Sowohl Davut als auch Illknur haben ihren Weg gefunden. Sie arbeitet in einem Jugendtreff und als Übersetzerin in der Beratungsstelle für Asylsuchende und möchte bald Sozialarbeit studieren. Er hat sich selbstständig gemacht und verkauft Elektrorollstühle. Daneben engagiert er sich an vielen Stellen und sagt: «Der erste Schritt ist immer schwierig, aber ich probiere viele Dinge aus und vergrössere so mein Netzwerk. Zu Beginn haben alle gesagt, dass die Organisation eines Projekts wie «Karriere-Desk» unmöglich ist. Aber es funktioniert. So kann ich helfen, dass geflüchtete Menschen eine Zukunftsperspektive entwickeln. Ein Ingenieur soll als Ingenieur arbeiten können – auch in einem neuen Land.»