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Der Schlittenbauer aus Sri Lanka

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Der Schlittenbauer aus Sri Lanka

6 August 2018 Auch verfügbar auf:
Kavithas Jeyebalan ist vor über 30 Jahren aus Sri Lanka nach Graubünden geflohen. Heute ist er der letzte Handwerker, der noch die traditionelle Technik des Schanfigger Holzschlittenbaus beherrscht. © UNHCR/Mark Henley

Fast wäre eine jahrhundertealte Bündner Tradition verlorengegangen. Doch als vor etwas mehr als 20 Jahren der letzte Bündner Schreiner in den Ruhestand ging, der das 150 Jahre alte Handwerk des Schanfigger Holzschlittenbaus beherrschte, entschied sich sein junger Mitarbeiter dazu, diese Tradition weiterzuführen. Dieser Mitarbeiter war Kavithas Jeyebalan, ein Tamile, der 1984 aus Sri Lanka geflohen war. 20 Jahre alt war er, als er in der sri-lankischen Hauptstadt Colombo in ein Flugzeug Richtung Schweiz stieg. Der Bürgerkrieg, in dem tamilische Separatisten für die Unabhängigkeit kämpften und der bis 2009 dauern sollte, hatte damals gerade erst angefangen. Sein Bruder, der bereits seit drei Jahren in Graubünden lebte, half ihm in der Schweiz anzukommen.

„Als ich genug Geld für ein Billett hatte, fuhr ich bis nach Arosa. Ich war sofort beeindruckt von der Landschaft, ihren grünen Wäldern und den tiefen Schluchten.“

Kavithas Jeyebalan ist vor mehr als dreissig Jahren nach Graubünden gezogen – um für immer zu bleiben.

 

Der Anfang war allerdings schwer für Kavithas – den alle nur „Kavi“ nennen. Er verstand die Sprache nicht, musste sich erst an die harten Winter gewöhnen und wusste nicht so recht, wie er seine Tage im Asylzentrum in Chur verbringen sollte. Sein Bruder hingegen hatte dort bereits eine Wohnung sowie einen festen Arbeitsplatz in einer Fensterfabrik. „Ich sah oft die rote Rhätische Bahn vom Bahnhof abfahren und wollte unbedingt wissen, wo diese hinfährt. Als ich genug Geld für ein Billett hatte, fuhr ich bis nach Arosa. Ich war sofort beeindruckt von der Landschaft, ihren grünen Wäldern und den tiefen Schluchten.“

Er begann, diese Reise häufiger zu unternehmen. Eines Tages fragte er in der Schreinerei in Arosa, ob er dort arbeiten könne. Das Interesse an der Arbeit mit Holz hatte ihm sein Vater vermittelt, der in Sri Lanka eine Drechslerei besass. Nach einer Probezeit bekam er eine feste Stelle und zog nach Arosa. „Für mich war schnell klar, dass ich mir hier ein neues Leben aufbauen wollte“, erinnert sich Kavi. Diese Entscheidung wurde weiter bekräftigt, als er Ende der 80er-Jahre seine Frau Vreni kennenlernte, die aus der Region stammt. Er baute ein Haus in Peist, unweit von Arosa, und die beiden bekamen fünf Kinder: vier Söhne und eine Tochter.

 

 

Mitte der 90er-Jahre gründete Kavi seine eigene Schreinerei, wo er die Technik des Holzschlittenbaus verfeinerte. Heute hat sein Betrieb zehn Angestellte. Von den berühmten Schlitten, die ohne Nägel und Metallverstrebungen gefertigt werden, fertigt er im Jahr nur ungefähr 50 Stück. Es handelt sich um ein Liebhaberstück, das Kavis Betrieb jedoch überregionale Bekanntheit eingebracht hat. Sein Geld verdient er vor allem mit dem Innenausbau von Chalets. Im Frühling und im Herbst, wenn diese meist leer stehen, ist für die Schreinerei Hochbetrieb. Dann stockt er seine Mitarbeiterzahl mit Aushilfskräften auf. Benjamin, der seit 14 Jahren in Kavis Schreinerei arbeitet, schätzt an seinem Chef besonders dessen hohen Qualitätsanspruch: „Er kann streng zu den Lehrlingen sein und achtet sehr auf Disziplin und Pünktlichkeit. Insgesamt ist Kavi aber sehr grosszügig, er bekocht uns oft in seinem Haus, das gleich neben dem Betrieb steht.“

In der Region ist er bekannt: egal ob aus dem Auto heraus oder bei einem Glas Bier in der Sportgaststätte – unablässig wird Kavi gegrüsst. Seine Frau und er sind  Mitglieder des Trachtenvereins, er spricht den Graubündner Dialekt und unterstützt über seine Schreinerei mit mehreren 10 000 Franken im Jahr Sportvereine, Theatergruppen und die Bergbahnen. „Ich habe hier nie Vorurteile erleben müssen. Die Schweizer akzeptieren jeden, der sich einbringt und etwas aus seinem Leben machen möchte“, sagt er.

„Ich habe hier nie Vorurteile erleben müssen. Die Schweizer akzeptieren jeden, der sich einbringt und etwas aus seinem Leben machen möchte.“

Kavi hat sich vollständig in die Region integriert und unterstützt sowohl lokale Initiativen als auch Projekte, die von seinen Verwandten in Sri Lanka lanciert wurden.

 

 

Auch wenn er seit langem die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, hat er den Bezug zu seinem Heimatland nie ganz verloren. So besitzen seine fünf Kinder bündnerisch-tamilische Doppelnamen. Letztes Jahr ist er das erste Mal seit seiner Flucht wieder nach Sri Lanka zurückgekehrt. Ausser seinem Bruder, hat er sechsweitere Geschwister, von denen vier noch dort wohnen. Zu ihnen, und zu zwei Schwestern, die in Indien leben, hatte er all die Jahre nur telefonisch Kontakt gehabt. Finanziell konnte er ihnen jedoch oft unter die Arme greifen, wie zum Beispiel einem Bruder, der sich in Sri Lanka eine Landwirtschaft aufgebaut hat. „Die Reise war sehr berührend nach über 30 Jahren. Ich wünsche mir, dass meine Kinder einmal in dieses Land reisen, um ihre Wurzeln besser zu verstehen.“

Er beschäftigt auch immer wieder andere sri-lankische Flüchtlinge – aktuell sind es zwei. „Ich helfe ihnen gerne, denn sie haben oft hohe Schulden, die sie für ihre Flucht aufnehmen mussten“, sagt er. Allerdings verlangt er von ihnen, dass sie versuchen, sich so gut wie möglich zu integrieren. So spricht er mit ihnen nur in Ausnahmefällen Tamil.

Kavi motiviert sie auch stetig, sich am Gemeindeleben zu beteiligen und mit Einheimischen in Kontakt zu kommen, um hier feste Wurzeln zu schlagen und schnell Fuss in dieser neuen Gesellschaft zu fassen – wie er das selbst, als Self-made-Unternehmer, in wenigen Jahrzehnten gemeistert hat.