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Eritreische Küche am Altdorfer Stammtisch

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Eritreische Küche am Altdorfer Stammtisch

10 September 2018 Auch verfügbar auf:
Im Fomaz arbeiten Menschen aus dem Kanton Uri, die aus ihrem Herkunftsland fliehen mussten und deswegen in der Schweiz Asyl oder eine vorläufige Aufnahme erhalten haben. © UNHCR/Mark Henley

Ende Juni in Altdorf, dem Hauptort des Kantons Uri. Die Dachterrasse des Restaurants Fomaz ist zur Mittagszeit voll besetzt, die Gäste geniessen die ersten richtig warmen Sommertage. Um sie herum freie Sicht auf die Urner Alpenlandschaft. Als Vorspeise des Mittagsmenüs wird jedem Tisch eine grosse Schüssel Suppe gereicht, aus der sich die Gäste selbst bedienen. Daniel, ein Wirtschaftsprüfer, der immer, wenn er mit seinen drei Kollegen in der Stadt ist, ins Fomaz kommt, gefällt dieses Konzept: „Es geht darum, das Essen zu teilen.“ Denn in diesem Restaurant stehen Werte wie Gemeinschaft und Solidarität im Mittelpunkt: Im Fomaz arbeiten Menschen aus dem Kanton Uri, die aus ihrem Herkunftsland fliehen mussten und deswegen in der Schweiz Asyl oder eine vorläufige Aufnahme erhalten haben.

„Ziel ist es, diesen Menschen den Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die meisten unserer Praktikanten finden im Anschluss an ihre Zeit bei uns leichter eine Arbeit."

Kurt Strehler vom Schweizerischen Roten Kreuz hatte die Idee, das Restaurant Fomaz zu eröffnen.

 

Die Idee dazu hatte Kurt Strehler 2010. Er ist im Kanton für die Aufgaben des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) im Asylbereich zuständig. Seit über 30 Jahren hat das SRK dort das Gesamtmandat für den Asylbereich und kann Flüchtlinge daher von Beginn ihres Aufenthalts an auf ihrem Weg in den Schweizer Alltag begleiten. „Das Haus, in dem heute das Fomaz ist, war zuvor jahrzehntelang eine Beiz und ein wichtiger Treffpunkt in Altdorf gewesen. Als die ehemaligen Pächter in den Ruhestand gingen, wollten wir dort einen Ort schaffen, wo Flüchtlinge Berufserfahrung sammeln oder eine Ausbildung absolvieren können.“ Nach sieben Monaten Renovationsarbeiten und Absprachen mit den örtlichen Behörden wurde das Fomaz im Januar 2011 eröffnet. Der Name kommt aus dem rätoromanischen und bedeutet „Heisshunger“.

 

Seitdem ist das Restaurant fester Bestandteil im Altdorfer Alltag geworden. Vor allem zur Mittagszeit ist es mit etwa 40 Gästen meistens voll besetzt. Es kommen vor allem Stammgäste aus der Region. Das Fomaz bietet durchgehend sechs Praktikantenplätze für Flüchtlinge im Bereich Service oder Küche an. Diese Praktika dauern in der Regel ein Jahr. Dazu kommt jeweils ein Ausbildungsplatz pro Bereich. Angeleitet werden die Flüchtlinge von vier fest angestellten Mitarbeitenden. „Ziel ist es, diesen Menschen den Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die meisten unserer Praktikanten finden im Anschluss an ihre Zeit bei uns leichter eine Arbeit in anderen Gastronomiebetrieben im Kanton oder auch in anderen Berufen“, sagt Kurt Strehler. Denn was die Praktikanten im Fomaz lernen, wird in allen Tätigkeitsfeldern geschätzt. „In der Gastronomie geht es darum, unter Druck gute Arbeit abzuliefern. Dabei ist es sehr wichtig, Abläufe einzuhalten, auf Qualität zu achten und im Team zu funktionieren.“ So haben von den 13 Praktikanten, die im 2017 im Fomaz waren, über die Hälfte mittlerweile eine feste Arbeitsstelle in anderen Betrieben der Region.

Manche von ihnen entscheiden sich auch dazu, nach dem Praktikum eine Lehre im Restaurant zu absolvieren. So wie Hagos Woldemarian aus Eritrea. Der 35-jährige absolvierte im Fomaz eine zweijährige Ausbildung zum Koch. Das nächste Ziel für ihn ist das eidgenössische Fähigkeitszeugnis EFZ. „Das Restaurant war meine erste Möglichkeit, mit der Arbeitswelt in der Schweiz in Berührung zu kommen. Hier wird sehr viel Wert auf Pünktlichkeit und Teamwork gelegt“, erinnert er sich. „Während des Praktikums war ich sowohl in der Küche als auch im Service tätig, so dass ich viel Kontakt zu den Gästen hatte. Das hat mir sehr geholfen, mich einzuleben und die Sprache zu lernen.“ Die Flüchtlinge ihrerseits bereichern Altdorf kulinarisch, wie ein Blick in das Menü offenbart: Die Küche ist von vielen internationalen Einflüssen geprägt. Jeder Praktikant oder Lehrling bringt neue Ideen mit. Sehr beliebt bei den Gästen ist zum Beispiel Injera, ein gesäuertes Fladenbot, ein typisches Produkt der eritreischen Küche. Dazu werden Linsen, Spinat, Zwiebeln oder Fleisch serviert. „Natürlich beherrsche ich auch viele Schweizer Rezepte. Am liebsten koche ich Spätzli.“

 

Seit Mai 2017 hat das Projekt Fomaz mit dem Restaurant Schützenmatt Verstärkung bekommen. Es befindet sich näher am Stadtzentrum als das Fomaz, so dass auch viele Touristen den Weg dorthin finden. Ein weiterer Unterschied: Die Küche ist weniger exotisch. „Im Schützenmatt können ehemalige Praktikanten des Fomaz eine feste Arbeitsstelle zu bekommen“, erklärt Betriebsleiter Sören Wirth. So sind im Moment fünf der ehemaligen Praktikanten dort fest angestellt. „Im Vergleich zum Fomaz spielt hier die sozialpädagogische Komponente eine wesentlich geringere Rolle. Die meisten Gäste wissen auch gar nicht, dass hier Menschen mit Fluchthintergrund arbeiten. Wir bieten denjenigen hier eine Möglichkeit, die im Fomaz durch besonders viel Eigenverantwortung aufgefallen sind.“

 

„Am Ende haben alle etwas davon, wenn Flüchtlinge ein selbständiges Leben führen und so in ihrer neuen Heimat Fuss fassen können.“

Kurt Strehler unterstreicht die Win-win Situation des Restaurants.

 

Doch der Erfolg der beiden Restaurants ist auch Anlass für Kritik seitens der anderen Restaurantbetreiber im Ort. Diese werfen dem Fomaz und dem Schützenmatt illoyale Konkurrenz vor. „Dabei bekommen wir im Fomaz lediglich einen Zuschuss für die Praktikanten und die Auszubildenden. Der Grossteil der Einnahmen wird durch den Betrieb erwirtschaftet“, erklärt Kurt Strehler. „Beim Schützenmatt ist  unser Ziel sogar, in den nächsten Jahren vollständig selbsttragend zu werden.“ Wichtig sei es, immer offen zu kommunizieren. „Am Ende haben alle etwas davon, wenn Flüchtlinge ein selbständiges Leben führen und so in ihrer neuen Heimat Fuss fassen können.“