Eine aussergewöhnliche Resettlement-Geschichte
Eine aussergewöhnliche Resettlement-Geschichte
Im Krieg sind Menschen oft gezwungen, Hals über Kopf zu flüchten. Sie werden abrupt von Angehörigen und Freunden getrennt, müssen ihr Haus, ihre Ersparnisse oder ihr Land, Vieh und Haustiere zurücklassen. Meist bleibt auch keine Zeit, um sorgfältig die Koffer zu packen. Die Wenigsten gehen jedoch ohne die eine Sache, die ihnen am wichtigsten ist.
Für die einen ist das ein Schmuckstück, das sie von einem Verwandten als Geschenk erhielten, eine Fotografie eines geliebten Menschen oder ein Glücksbringer. Für die anderen ist das ein praktischer Alltagshelfer wie ein Kochtopf, um unterwegs für die Familie Mahlzeiten zubereiten zu können. Diese Gegenstände sind eine Erinnerung an die Heimat und an die mit ihr verbundenen Menschen.
Für die 34-jährige Darin aus Syrien stand ausser Frage, dass ihr Kater Caesar sie auf der Flucht begleitet. Die junge Frau, die seit Mai 2019 mit ihren Eltern im Kanton Solothurn lebt, leidet an chronischer Polyarthritis, eine schmerzhafte Gelenkentzündung. Caesar ist für sie Teil der Familie. „Er ist sehr intelligent und er hört gut zu“, schwärmt Darin im Gespräch und krault Caesar. Der Kater mit den grünen Augen und dem weiss-grauen Fell kam vor sieben Jahren zur Familie. Wegen der Bombardierungen musste sich die Familie tagelang in einem Keller verstecken. „Es war sehr langweilig“, sagt Darin. Ihr Bruder schenkte ihr dann Caesar, als dieser erst zwei Monate alt war. Caesar habe sich vor den Bombardierungen gefürchtet und immer in der Nähe der Menschen bleiben wollen. Er sei auch von seinem Charakter her sehr sozial, sagt Darin. „Er ist wie mein Kind. Immer, wenn ich am Telefon mit der Familie spreche, sagen sie mir: ,Gib mir zuerst Caesar, dann sprechen wir mit dir.’“ Ohne es zu wissen, hat der Kater eine emotional unterstützende Wirkung für Darin.
„Ohne eine Garantie, dass ich Caesar wieder sehe, hätte ich Gaza nicht verlassen.“
Flucht innert zehn Minuten
Der Krieg dauerte an. Auch das Viertel von Damaskus, in dem Darin und ihre Familie zuletzt lebten, wurde oft bombardiert. „Wir versteckten uns, und wenn es wieder ruhig wurde, gingen wir raus, um einzukaufen.“ Das konnte zwei oder drei Stunden dauern, und dabei nahmen sie Caesar jeweils mit in den Supermarkt. Die Familie wollte im Viertel bleiben. Sie waren unter den letzten Personen, die schliesslich doch noch flüchteten. „Wir mussten unser Haus innerhalb von zehn Minuten verlassen. Nur die Kleider, die wir trugen, konnten wir mitnehmen“, sagt Darin. Seither konnten sie nicht mehr zurückkehren. Für den Fall der Flucht hatte die Familie bei der Tür immer eine Tasche mit dem Nötigsten und den Reisepapieren bereitgestellt, sowie die Sachen von Caesar.
„Wir mussten unser Haus innerhalb von zehn Minuten verlassen. Nur die Kleider, die wir trugen, konnten wir mitnehmen.“
Zunächst blieb die Familie bei Darins Grossmutter, die im Stadtzentrum wohnte. Mit der Zeit wurde es aber auch dort gefährlich. Schliesslich flüchtete die Familie zusammen mit Caesar nach Ägypten, und als sie dort nicht bleiben konnten, weiter nach Gaza-Stadt. Dort lebten sie sechs Jahre, vom Frühjahr 2013 bis 2019. Die Familie hatte wenige Kontakte zu anderen Menschen in Gaza. In dieser Situation hat Caesar Darin das Leben bedeutend erleichtert. „Er ist wie ein Glücksblatt“, sagt sie strahlend. In Gaza waren die Möglichkeiten zur Behandlung von Darin und ihrem Vater, der ebenfalls krank ist, beschränkt. Über das Resettlement-Programm von UNHCR konnte Darin schliesslich mit ihren Eltern in die Schweiz kommen. In ihr Gesuch hatten sie auch Caesar integriert und die Bedeutung des Tieres für die ganze Familie dargelegt.
Das Resettlement-Programm ermöglicht es verletzlichen Flüchtlingen, in ein Drittland zu übersiedeln. Zu den Kriterien für eine Aufnahme in das Programm zählt etwa die mangelnde Möglichkeit einer notwendigen medizinischen Versorgung im Aufenthaltsland. Üblicherweise werden Haustiere aber nicht in das Programm aufgenommen. Insbesondere Darins Bruder Aladdin setzte jedoch alles in Bewegung, damit seine Schwester nicht von ihrer Katze getrennt wurde. Auch Vertreter der verschiedenen zuständigen Behörden, inklusive eines Tierarztes aus Israel, waren feinfühlig und berücksichtigten die wichtige emotionale Rolle, die die Katze für Darin und damit für ihre Gesundheit spielt. Schliesslich gab es grünes Licht, dass Caesar aus Gaza ausreisen und mit in die Schweiz kommen konnte – ein absoluter Ausnahmefall. Dafür brauchte der Kater aber noch mehrere Untersuchungen. Bedingung war zudem, dass Darin und ihre Familie für die Kosten aufkamen.
Wartezeit in der Ukraine
Für ihre Reise in die Schweiz fuhr die Familie an den Flughafen in Tel Aviv. Dort wurde Caesar Darin überraschenderweise weggenommen, um die Untersuchungen vorzunehmen. Sie fühlte sich zunächst etwas betrogen. Caesar wurde dann von einer Begleitperson für die Untersuchungen und eine Wartezeit in ein Tierheim in der Ukraine gebracht, wo er einen Monat blieb. Länger als geplant, namentlich wegen eines zweiten Tollwut-Tests. „Ohne eine Garantie, dass ich Caesar wieder sehe, hätte ich Gaza nicht verlassen“, sagt Darin. Ihr war damals bewusst, dass es noch nicht ganz sicher war, ob Caesar tatsächlich nachkommen konnte und es eine „Familienzusammenführung“ geben würde. Um die 6’000 Dollar für Caesars Untersuchungen und den Aufenthalt in der Ukraine zu bezahlen, nahm Darins Bruder, der in Skandinavien lebt, ein Darlehen auf. Als Aladdin die Familie in der Schweiz besuchte, reiste er nach Zürich und holte Caesar vom Flughafen ab. Die Wiedersehensfreude war gross, als er mit Caesar zurückkam. Alle weinten, auch weil Caesar, vor Kummer erkrankt, fast die Hälfte seines Gewichts verloren hatte.
Inzwischen hat sich Caesar erholt. Für Darin ist es ein Segen Gottes, dass sie heute in der Schweiz in Sicherheit sind. Ohne Caesar wäre der Neuanfang jedoch noch schwieriger gewesen. „Wie Kinder macht Caesar das Haus sehr lebendig“, meint sie. Nach allem, was die Familie gemeinsam erlebt und durchgemacht hat, ist die Beziehung zu Cäsar noch enger geworden.
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Resettlement ist eine der dauerhaften Lösungen, die von UNHCR im Rahmen des Globalen Paktes für Flüchtlinge empfohlen sind, um besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen Zugang zum angemessenen Schutz zu geben. Dieses Thema wird unter anderem am 17. und 18. Dezember beim ersten Globalen Flüchtlingsforum in Genf thematisiert.