Eine junge Frau mit grossen Plänen
Eine junge Frau mit grossen Plänen
Ayat Lafta war sechs Jahre alt, als sie mit ihrer Familie 2006 aus dem Irak in die Schweiz floh. Heute ist die 23-Jährige eine junge Unternehmerin mit grossen Plänen und einer eisernen Entschlossenheit. Die Tochter eines Ingenieurs und einer Hochschullehrerin wuchs in Bagdad in einer wohlhabenden und liebevollen Grossfamilie bestehend aus mehreren Generationen und vielen Cousinen und Cousins auf. Der warme und erdige Geruch von Bakhoor – Holzspäne, die in duftende Öle getränkt werden und sich im Nahen Osten besonderer Beliebtheit erfreuen – erinnert Ayat noch heute an das grosse, lebendige Haus und an ihre Verwandten. Ayats Kindheit war aber auch vom Irakkrieg geprägt und so flohen sie, ihre Eltern und die beiden Geschwister zunächst nach Syrien und brachen von dort aus nach Europa auf. Die beschwerliche Flucht über den Landweg dauerte fünf Monate.
«Wir standen von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts. Ich habe erfahren, wie es sich anfühlt, alles zu besitzen und dann plötzlich nichts mehr zu haben. Dies hat meinen Kampfgeist geweckt: Egal, was passiert, ich mache trotzdem weiter.»
In der Schweiz angekommen fanden Ayat, ihre Eltern und die zwei Geschwister in Baden ein neues Zuhause. Die Erinnerung an die Geborgenheit ihrer grossen Familie und die Wärme ihres Zuhauses in Bagdad bilden einen starken Kontrast zu den ersten Erfahrungen in der Schweiz, die Ayat zunächst als kalt und fremd empfand. Der Verlust des vertrauten Umfelds und die Konfrontation mit Misstrauen gegenüber Flüchtlingen stellten eine erhebliche Herausforderung für sie dar. Ayat und ihre Geschwister fanden sich in einem schulischen Umfeld wieder, das von Sprachbarrieren und Mobbing geprägt war. Zusätzlich kämpfte sie mit den emotionalen Nachwirkungen der traumatischen Erfahrungen von Krieg und Flucht.
Trotz dieser Hindernisse absolvierte Ayat eine kaufmännische Lehre mit Berufsmatura und machte bei ihrem ersten Job eine zufällige, aber entscheidende Begegnung – die mit ihrem zukünftigen Geschäftspartner Bonni Kuruvilla. Gemeinsam entwickelten sie die App Wedgram. Die innovative Plattform soll die Hochzeitsplanung vereinfachen: Unternehmen können ihre Dienstleistungen auf der App anbieten, und Paare, die eine Hochzeit planen, können ihre Wünsche angeben und mit verschiedenen Anbieter*innen in Kontakt treten. Dies erleichtert nicht nur die Planung, sondern unterstützt auch lokale Unternehmen. Ayats Passion liegt jedoch in der Immobilienwelt: als Immobilienmaklerin und zukünftige Interior Designerin gründet Ayat gemeinsam mit Bonni die zweite Firma ABADS.ch, welche Immobilienmakler*innen und Immobilienagenturen bei der Vermarktung ihrer Objekte und der Gewinnung von Verkaufsmandaten unterstützt. Dabei nimmt sich Ayat ein Vorbild an ihrem Vater, der im Irak selbst ein erfolgreiches Immobilienunternehmen führte und der Ayat gemeinsam mit der Mutter und den zwei Geschwistern stehts zur Seite steht.
«Ich stamme aus einer Familie von aussergewöhnlich starken Frauen. Meine Grossmütter und Tanten haben ganze Grossfamilien geführt. Meine Mutter selbst ist ebenfalls eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Von ihnen habe ich diese unglaubliche Frauenpower geerbt.»
Als junge Frau in einer Branche, die von Männern dominiert wird, ist Ayat mit zahlreichen Vorurteilen und Hindernissen konfrontiert. Oft wird sie aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts und ihres Aussehens nicht ernst genommen. Doch davon lässt sich Ayat nicht entmutigen. Ayats Mutter beschreibt sie als zielstrebig, während sie selbst zugibt, manchmal stur zu sein. Wenn Ayat von ihren Zukunftsplänen erzählt, leuchten ihre grünen Augen. Perspektiven schaffen, Türen öffnen und anderen helfen, sich selbst zu helfen – das sind ihre wichtigsten Ziele als Unternehmerin. In den sozialen Medien dokumentiert Ayat ihren unternehmerischen Alltag. Ihre grösste Freude ist es, wenn andere junge Unternehmer*innen ihr schreiben und ihr mitteilen, dass sie sie in ihrem eigenen Werdegang motiviert. In der Zukunft würde Ayat gerne ein Netzwerk für junge Frauen gründen, in dem sie sich gegenseitig unterstützen können.
«Es ist von grosser Bedeutung, Menschen dort zu unterstützen, wo ihre Stärken liegen. Denn genau das zeichnet eine starke Führungskraft aus, die in der Lage ist, das volle Potenzial in anderen zu entfachen.»
Ayat ist überzeugt, dass viele Flüchtlinge ein grosses Potenzial haben und zahlreiche Fähigkeiten mitbringen. Daher sei es wichtig, diese Talente zu fördern und Vorurteile abzubauen. Ayats Weg von einem mutigen jungen Mädchen zur selbstbewussten aufstrebenden Unternehmerin ist eine eindrückliche Geschichte der Überwindung von Hindernissen und des Glaubens an sich selbst. Ihr Name, «Ayat», bezieht sich auf die Verse im Koran und bedeutet «Zeichen» oder «Offenbarung» – und sie selbst ist zweifellos ein Zeichen der Stärke und des Durchhaltevermögens im Angesicht der Herausforderungen, die das Leben bereithält.