Neue Freundschaft zwischen Syrerin und Freiwilligen
Neue Freundschaft zwischen Syrerin und Freiwilligen
BERLIN, Deutschland – Den Lenker des ungewohnten Leihfahrrads fest in den Händen blickt Shiraz prüfend auf ihren rechten Fuß und stellt ihn zögernd auf die Pedale. Sie hebt ihren Kopf, ihre Augen sind konzentriert auf den vor ihr liegenden Park gerichtet, als ihr linker Fuß unaufhaltsam in den Rhythmus der Pedale fällt und sie losrollt.
Im Alter von 27 Jahren fährt Shiraz, eine syrische Asylsuchende in Deutschland, zum ersten Mal in ihrem Leben Fahrrad. Dieses Erlebnis hat sie der Ermutigung von Berliner Freiwilligen zu verdanken, die die vergangenen Samstage damit verbrachten, ihr das Fahrradfahren beizubringen.
„Ich liebe das Gefühl beim Fahrradfahren“, sagt Shiraz, die vor zwei Monaten zusammen mit ihrer Familie vor den Kämpfen in Aleppo im Norden Syriens geflohen ist. „Es war eine tolle Fahrt im Park heute. Bald möchte ich wie die Einheimischen durch die Straßen Berlins fahren.“
Shiraz teilt sich zwei Räume in einer großen Aufnahmeeinrichtung mit ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrem Bruder und ihrer Schwägerin. Es ist frustrierend für ihre Eltern auf die Asylentscheidung warten zu müssen, aber der Damen-Fahrradclub hat ihr eine neue Aufgabe gegeben.
„Durch die Gruppe habe ich das Gefühl, dass ich so langsam weiß, was ich hier mache. In Syrien gab es für mich kein Leben, keine Zukunft“, sagt sie. „Meine Familie und Ich wollten einfach nur irgendwohin, wo es sicher ist, wo Frieden herrscht. Zuletzt mussten wir fliehen, wir wurden bombardiert. Da aber meine Eltern hier bei mir in Deutschland sind, fühle ich mich fast unbeschwert. Ich kann Fahrradfahren wann immer ich möchte.“
Für Fahrradfahrer ist Deutschland ein Traum und die Hauptstadt Berlin ist da keine Ausnahme. Die Stadt ist weitläufig, flach und größtenteils mit gut markierten Fahrradwegen ausgestattet, was das Fahrrad zum Transportmittel der Wahl für viele Einwohner macht. Neueste Zahlen zeigen, dass 72 Prozent der Berliner ein Fahrrad besitzen, verglichen mit nur 35 Prozent die im Besitz eines Autos sind.
„Viele Leute fahren hier Fahrrad und Neuankömmlinge sehen schnell, dass es ein einfacher Weg ist die Stadt zu erkunden“, sagt Katie Griggs. Die 40 jährige Britin organisierte die privaten Fahrradstunden, nachdem sie von Shiraz und anderen Asylsuchenden darauf angesprochen wurde, wie sie Fahrradfahren lernen könnten.
„Fahrradfahren hat etwas mit Unabhängigkeit zu tun, es hat etwas Befreiendes“, fügt Griggs hinzu, die Geld gesammelt hat, um jeder in der Gruppe ein eigenes Fahrrad zur Verfügung stellen zu können. In den letzten Monaten hat sie bereits 1000 Euro Spenden sammeln können und konnte so eine syrische Frau und ihren Sohn mit einem Fahrrad glücklich machen, inklusive Helm und Hilfe für eventuelle Reparaturen.
„Jeder lernt auf andere Art und Weise, die einen schneller, die anderen langsamer“, sagt sie. „Oftmals genügt es schon ein Fahrrad in der Hand zu halten und es eine Weile zu schieben, um ein Gefühl dafür zu bekommen.“
In ihrer Heimat Syrien haben meistens nur Kinder ein Fahrrad, sagt Fahranfängerin Shiraz. Bis zu ihrer Flucht aus Syrien studierte sie Jura. „In Syrien ist es komisch eine Frau auf dem Rad zu sehen. Ich habe niemals gedacht, dass ich eines Tages in Deutschland leben würde. Als ich noch ein normales Leben in Syrien hatte, habe ich nie daran gedacht mein zu Hause zu verlassen.“
Bei den wöchentlichen Fahrradstunden, die in einem großen Park in Berlin stattfinden, geht es nicht nur darum Fahrradfahren zu lernen. Es dient ebenso dazu, dass Asylsuchende wie Shiraz und Freiwillige, die ihre Fahrräder und ihre Unterstützung anbieten, einander besser kennenlernen.
„Natürlich vermisse ich mein Zuhause, meine Uni, meine Freunde“, sagt Shiraz. „Wenn man einen so unsicheren Ort verlassen muss, hat man keine Zeit sich von allen zu verabschieden. Aber wir müssen nur geduldig sein und auf bessere Zeiten warten, wenn wir Teil der deutschen Gesellschaft und deutschen Kultur sind.“
„Sollte Syrien eines Tages einmal sicher sein, werde ich natürlich darüber nachdenken wieder zurück zu gehen – Es ist mein zu Hause“, fügt sie hinzu. „Ich habe allerdings nicht sehr viel Hoffnung, dass es bald dazu kommen wird. Die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer. Es zurzeit nur ein Traum, dass es jemals wieder so werden wird wie früher.“
Jetzt da Shiraz sich darauf konzentriert die Balance und Koordination auf dem Rad zu halten und darauf gerade zu sitzen, erscheint der Albtraum des Lebens in einem Kriegsgebiet ein wenig weiter weg.
Für Griggs, die eigentlich keine Erfahrung darin hat Menschen das Fahrradfahren beizubringen, ist es etwas sehr Persönliches genau das zu machen, was normalerweise Eltern und ihren Kindern vorbehalten ist. „Es ist ein unglaublich schönes Gefühl“, sagt sie. „Ich bin überwältigt von all den Emotionen. Ich muss zugeben, dass ich geweint habe, als sie alle zum ersten Mal auf einem Fahrrad saßen und losradelten.“
„Genug Helfer zu haben ist immer wichtig, auch zum Anfeuern“, sagt Griggs und zeigt dabei auf eine Gruppe Deutscher, Briten, Isländer, Schweden, Amerikaner und Kanadier, die Shiraz zujubeln, als sie mit dem neugewonnenem Selbstvertrauen an ihnen vorbeifährt.
Ein sicheres und unterstützendes Umfeld ist entscheidend für die Fahranfänger, die sich sehr verwundbar fühlen können auf zwei wackeligen Rädern. Griggs hatte nie geplant eine reine Frauengruppe zu unterrichten, aber nur Frauen hatten auf ihr Angebot reagiert. „Selbst wenn Männer niemals Fahrrad gefahren sind, scheinen sie sich eher trauen sich einfach auf ein Fahrrad zu schwingen und loszufahren“, sagt sie.
Das Wochenende an dem in Berlin zum ersten Mal in diesem Jahr Schnee fiel, war für neuen Radfahrerinnen das letzte dieses Jahres für Fahrradstunden. Die neuen Freundschaften aber, werden nicht durch die kalten Monate vernachlässigt. Schon jetzt plant die Gruppe gemeinsam zu kochen und Museen in Berlin zu besuchen.