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Junger syrischer Fußballer will hoch hinaus

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Junger syrischer Fußballer will hoch hinaus

15 Juni 2016
Der 7-jährige Ahmad schaut aus dem Fenster seiner Wohnung in Potsdam. Seinen Fußball hat er immer dabei. © UNHCR/Daniel Morgan

POTSDAM, Deutschland – Ein breites Grinsen mit Zahnlücken huscht über Ahmad Alzahers junges Gesicht. Er schaut zu seinem Vater Mohammed, der mit einer Wasserflasche auf dem Kopf auf dem Spielfeld kniet. Ahmad geht einen Schritt zurück, rennt dann mit vollem Karacho auf den Ball zu und schießt ihn mit seinem starken linken Bein direkt auf seinen Vater.

Am Spielfeldrand halten die deutschen Mädchen voller Spannung die Luft an, während der Ball durch die Luft saust. Dann, als der Ball mit einem Schlag die Flasche von Mohammeds Kopf fegt, folgen die Jubelrufe. Ahmad führt einen kleinen Siegestanz auf, kommt zum Stehen und würft seine Hände – im Stil Christiano Ronaldos – mit einem kleinen Dreher über seinen Kopf.

Der Trick mit der Flasche ist nur einer von vielen, die Ahmad und sein Vater täglich nach der Schule üben. Beide hoffen, dass sich ihre harte Arbeit irgendwann auszahlen wird und Ahmads Können den großen europäischen Fußballclubs auffällt.

„Mein Lieblingsfußballer ist Christiano Ronaldo, weil er der Beste und der Schnellste ist“, erzählt Ahmad UNHCR über den Superstar von Real Madrid. „Ich bin auch schnell. Mein Traum ist es, irgendwann Ronaldo zu treffen und mit ihm Fußball zu spielen.“

„Wir freuen uns beide sehr auf die Europameisterschaft“, sagt Ahmads Vater. „Wir fiebern mit Deutschland mit; es wird schwierig werden, aber wir glauben, dass das deutsche Nationalteam gewinnen kann. Das Beste am Fußball und an dieser Europameisterschaft ist, dass es Menschen zusammen bringt. 90 Minuten lang sind wir alle zusammen, unabhängig von unserer Weltanschauung, Religion oder Kultur.“

„Die Europameisterschaft ist genauso wie eine Weltmeisterschaft“, fügt Ahmad hinzu. „Genauso wichtig, genauso faszinierend und spannend.“

Es war Ahmads Traum Profifußballer zuwerden, der seinen Vater letztendlich dazu trieb seine Heimat Jableh im Nordwesten von Syrien zu verlassen. „Ich bin wegen Ahmad geflohen“, sagt der 39-jährige Mohammed. „Als der Krieg kam, wusste ich, dass es hier für Ahmad keine Zukunft und Perspektive geben wird. Ich wusste nicht, wie lange der Krieg anhalten wird. Er sollte Sportler werden und in Syrien hätte er dazu nicht die Gelegenheit gehabt. Ich dachte mir, er hat solch ein Talent, er braucht professionelles Training.“

Mohammed sagt, dass die Geburt von Ahmad seine ganze Welt verändert habe und ihm das Talent seines Sohnes bereits klar war, als dieser anfing zu laufen.

„Ahmad hat gleichzeitig angefangen zu laufen und Fußball zu spielen“, erzählt Mohammed. „Ich habe schnell gemerkt, dass er das Spiel liebte und dass er sich auf dem Spielfeld wohlfühlte. Er war nicht wie andere Kinder, wenn es um Fußball ging. Er wollte immer den Ball um sich haben, Tore machen – er wollte einfach immer spielen.“

Als Ahmad gerade mal zwei Jahre alt war, nahm Mohammed ihn das erste Mal mit zu einem Ligaspiel. Zum Erstaunen der Menge tapste der kleine Ahmad aufs Spielfeld und zeigte den Zuschauern seine Tricks. „Alle waren so aufgeregt und beeindruckt“, erinnert sich sein Vater. „Die besten syrischen Fußballspieler haben ihm damals eine große Zukunft auf der internationalen Fußballbühne vorhergesagt.“

Doch wie die Jahre verstrichen und das Land zunehmend im Krieg versank, verlor Mohammed den Glauben daran, dass die Dinge bald wieder ihren normalen Lauf gehen würden. „Ich sehe die Nachrichten aus Syrien und mein Herz blutet“, sagt er. „So Gott will, wird diese schreckliche Situation enden und das Land wieder heilen können. All Syrer sind meine Brüder und Schwestern. Ich bete, dass die Situation in meinem Land sich wieder verbessert.“

Im Oktober des vergangenen Jahres entschlossen sich Mohammed, seine Frau Afaf und seine Schwester Zahra dazu, Ahmad in den Libanon und anschließend in die Türkei zu bringen. Sie liehen sich Geld um die Schmuggler zu bezahlen, aber alles Geld der Welt hätte sie nicht sicher nach Griechenland bringen können. Wie so vielen anderen, versagte ihnen auf halber Strecke über das Mittelmeer das dünne Schlauchboot.

„Wir hatten die Hälfte geschafft, als der Motor versagte“, erinnert sich Mohammed. „Wir versuchten trotzdem weiterzukommen, aber das Boot füllte sich langsam mit Wasser. Dann, immer noch ein wenig abseits der griechischen Küste, fing das Boot an zu sinken. Für eine kurze Zeit dachte ich, dass wir verloren sind. Doch vor uns war ein größeres Schiff voll mit Flüchtlingen und sie kehrten um, um uns zu helfen. Wir schafften es alle an Land. Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir es geschafft haben, dass wir nicht im Meer ertrunken sind.“

In Griechenland machten sich Ahmad und seine Familie auf zur westlichen Balkon-Route, von Ungarn nach Slowenien und schließlich nach Österreich. Anfang November wurden sie von deutschen Polizisten aufgegriffen, als sie die deutsche Grenze überquerten und in einen Bus Richtung Potsdam gesetzt.

„Wir wussten nicht, wohin wir gefahren wurden. Wir wussten nur, dass es dort besser sein musste, als dort, wo wir herkamen. Nach einer solchen Reise war es unvorstellbar wirklich irgendwo anzukommen. Ich war so erleichtert. Ich hatte die vorigen zwei Wochen kaum geschlafen, da ich stets wach blieb während die anderen schliefen, damit jemand sie beschützen konnte. Die ganze Zeit hatte ich Angst um meinen Sohn. Als wir ankamen, realisierte ich endlich: Hier bin ich sicher. Meine Familie ist sicher.“

Ahmad und seine Familie sind mittlerweile anerkannte Flüchtlinge in Deutschland. Seit Januar wohnen sie zur Miete in einer Dreizimmerwohnung in Potsdam. Ahmad blüht in seiner neuen Umgebung auf, kriegt gute Noten in der Schule und spielt in einem Kinderfußballteam. Für die Erwachsenen ist es schwieriger. Mohammed lernt Deutsch, während Ahmads 29-jährige Tante Zahra gerade eine Fortbildung macht, um ihren vorherigen Job als Grundschullehrerin wieder aufnehmen zu können.

„Es ist ein neues Leben in Deutschland“, sagt Mohammed. „Du musst dich erstmal daran gewöhnen dein ganzes Leben neu aufzubauen.“

„Ich lerne schnell Deutsch, aber die Erwachsenen sind langsam“, fügt Ahmad lachend hinzu. „Manchmal spricht meine Familie mit mir auf Arabisch und ich antworte auf Deutsch. Dann haben sie keine Ahnung, was ich sage. Mir gefällt es in der Schule. Sport und Deutsch sind meine Lieblingsfächer. Mein Deutschlehrer macht das Lernen sehr einfach und spaßig, er bringt uns auch bei Sachen zu bauen und Bilder zu malen. Er ist sehr zufrieden mit mir, weil ich schon ein bisschen schreiben kann.“

Ahmad wirkt unbeeindruckt von der Tatsache, dass er das einzige syrische Kind in der Schule ist – seine Fertigkeiten auf dem Spielfeld haben ihn bereits in der Schule bekannt gemacht. „Alle Kinder in meiner Klasse sind meine Freunde“, sagt er. „Alles ist hier anders. Ich denke oft daran, nach Syrien zu gehen. Um mein Zuhause zu sehen, mit meinen Freunden zu spielen, und dann möchte ich nach Deutschland zurückkehren. Ich wünsche den Kindern in Syrien, dass sie sicher und glücklich sind. Dass ich jeden Tag Fußball spielen kann, macht mich sehr glücklich.“