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Weltweit immer mehr Vertriebene: UNHCR-Chef Grandi fordert gemeinsames Handeln

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Weltweit immer mehr Vertriebene: UNHCR-Chef Grandi fordert gemeinsames Handeln

Weltweit ist die Zahl der Vertriebenen aufgrund von Konflikten im Nahen Osten und anderswo auf 123 Millionen angestiegen.
23 Oktober 2024
Switzerland. UNHCR’s 75th annual plenary session of the Executive Committee

Filippo Grandi, Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, hat die Regierungen der Welt vor „Zynismus und Isolation“ angesichts der wachsenden Zahl scheinbar unlösbarer Konflikte gewarnt. Stattdessen forderte er eine verstärkte Zusammenarbeit, um Frieden und Lösungen für die weltweit 123 Millionen Vertriebenen zu finden.

In seiner Eröffnungsrede zur Jahrestagung des UNHCR-Exekutivkomitees in Genf reflektierte Grandi über ein Jahr voller Verlust und Trauer, das von der „schrecklichen Lüge, der Weg zum Frieden führe über den Krieg“, geprägt war. Die aktuelle Krise im Nahen Osten sowie die anhaltenden Konflikte im Sudan, in der Ukraine, in Myanmar und anderswo führen dazu, dass die Zukunft „ungewisser denn je“ erscheint, sagte Grandi.

„Angesichts der Krise im Nahen Osten wäre es leicht – und möglicherweise verlockend –, dem Multilateralismus mit Zynismus zu begegnen und sich zurückzuziehen. Doch Zynismus und Isolation sind kein Luxus, den sich Flüchtlinge leisten können“, betonte Grandi. „Heute gibt es 123 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene. Ihre Notlage erfordert Lösungen. Und der einzige Weg dorthin ist die Zusammenarbeit.“

Grandi gedachte der zwei UNHCR-Kolleginnen, die bei den jüngsten israelischen Luftangriffen in Libanon getötet wurden, sowie der 226 UNRWA-Mitarbeiter, die seit Beginn des Konflikts im Gazastreifen ums Leben gekommen sind. Trotz der wachsenden Gefahr für Zivilisten und humanitäre Helfer in Konfliktgebieten weltweit versicherte er, dass UNHCR seine Präsenz und Einsatzbereitschaft weiterhin aufrechterhalten werde.

Schwindende Ressourcen

Die Finanzierung humanitärer Hilfe hat mit der zunehmenden Zahl globaler Krisen nicht Schritt gehalten. In den letzten drei Jahren hat UNHCR jährlich durchschnittlich 40 Krisen ausgerufen. Ein besonders erschütterndes Beispiel sei der Krieg im Sudan, wo in den letzten 18 Monaten mehr als elf Millionen Menschen vertrieben wurden, darunter mehr als zwei Millionen Flüchtlinge, also Menschen, die aus dem Land heraus geflohen sind. Dennoch sei der regionale Hilfsplan dort nur zu 27 Prozent finanziert, und die Aussichten auf Frieden bleiben düster.

„Kein Frieden und wenige Ressourcen – in dieser fatalen Gleichung muss etwas hinten runterfallen“, warnte Grandi. „Andernfalls sollte sich niemand wundern, wenn die Vertreibungen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch geografisch weiter zunehmen. Die Realität ist, dass ohne Sicherheit und Stabilität Flüchtlinge weiterziehen werden, was viele Staaten beunruhigt.“

Obwohl die Finanzierung von UNHCR im Vergleich zur „düsteren“ Situation zu Beginn des Jahres etwas besser geworden sei, betrage der aktuelle Finanzierungsgrad nur 45 Prozent. Der Gesamtbedarf für dieses Jahr liege bei 10,8 Milliarden Dollar (9,9 Milliarden Euro). Die Aussichten für das kommende Jahr und darüber hinaus bleiben unsicher. „So können wir nicht weiterarbeiten. Das können Sie auch nicht. Dieser Ansatz ist nicht nachhaltig“, betonte Grandi gegenüber den Regierungen.

Nachhaltige Ansätze – ‘Sustainable Programming’

Ein vielversprechender Ansatz, der sowohl den Vertriebenen als auch den lokalen Gemeinschaften, den Aufnahmeländern und den Gebern zugutekommt, besteht darin, die übermäßige Abhängigkeit von humanitärer Hilfe, insbesondere in langwierigen Krisensituationen, zu reduzieren. Stattdessen sollten nachhaltigere Strategien entwickelt werden, um Flüchtlinge in lokale Gemeinschaften und nationale Systeme zu integrieren, während sie auf langfristige Lösungen warten, wie etwa eine sichere Rückkehr in ihre Heimatländer oder Resettlement in ein Drittland.

„Dieses Modell zielt nicht darauf ab, die Verantwortung auf die Aufnahmeländer abzuwälzen“, betonte Grandi. „Vielmehr geht es darum, die Kapazitäten und die Widerstandsfähigkeit der Aufnahmeländer und -gemeinschaften zu stärken – auch durch finanzielle Unterstützung –, damit sie die Vertriebenen erfolgreich und nachhaltig in ihre nationalen Hilfesysteme integrieren können, solange diese dort sind.“

Eine weitere Herausforderung, die neue Ansätze erfordert, ist das Phänomen, dass Flüchtlinge und andere Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen, zunehmend die gleichen Routen nutzen wie andere, die bessere wirtschaftliche Chancen suchen. Diese sogenannten „mixed movements “ von Flüchtlingen und Migranten stellen sowohl für die Länder entlang dieser Routen als auch für diejenigen, die diese Routen nutzen, eine Herausforderung dar. Oftmals sind Flüchtlinge und Migranten mit ähnlichen Gefahren konfrontiert.

Grandi forderte die Länder auf, sich nicht nur auf ihre eigenen Grenzen zu konzentrieren, sondern Alternativen zu solchen gefährlichen Routen zu fördern. Dazu könnte die Schaffung von mehr legalen Einreisemöglichkeiten gehören – wie Resettlement und Familienzusammenführung – oder die Unterstützung von Alternativen zur Weiterreise in Transitländer – einschließlich legaler Aufenthalts- und Legalisierungsprogramme.

Eine Verlagerung hin zu solchen „routenbasierten“ Ansätzen werde erhebliche Investitionen in den Transit- und Aufnahmeländern erfordern, sagte Grandi. Er fügte hinzu, dass UNHCR die Institution des Asyls weiterhin mit Nachdruck verteidigen werde, ganz gleich, welche pragmatischen und prinzipienfesten Lösungen sich ergeben.

Momente der Hoffnung

Trotz der beunruhigenden globalen Lage wies Grandi auf einige Lichtblicke inmitten der Düsternis hin. In diesem Jahr sollen beispielsweise 200.000 Flüchtlinge die Möglichkeit zum Resettlement in ein sicheres Land erhalten.

In den letzten Wochen hat Turkmenistan, nach Kirgisistan, als zweites Land alle bekannten Fälle von Staatenlosigkeit gelöst. Im Rahmen der UNHCR-Kampagne #IBelong konnten über ein Jahrzehnt hinweg Fortschritte erzielt werden und eine halbe Million Menschen haben eine Staatsangehörigkeit erhalten. Am Montag kündigte Grandi die Gründung einer neuen Globalen Allianz zur Beendigung von Staatenlosigkeit an, die auf den Erfolgen von #IBelong aufbaut.

Er verwies auch auf das beeindruckende Beispiel der olympischen und paralympischen Flüchtlingsteams, die Anfang des Jahres in Paris antraten, sowie auf die fünf außergewöhnlichen Frauen – eine globale Preisträgerin und vier regionale Gewinnerinnen –, die am Montagabend bei der Verleihung der Nansen-Flüchtlingspreise 2024 in Genf geehrt wurden.

Abschließend betonte Grandi die Dringlichkeit gemeinsamen Handelns zur Bewältigung der aktuellen globalen Herausforderungen: „Ich bitte Sie alle, weiterhin gemeinsam und mit Demut daran zu arbeiten, jede Gelegenheit zu nutzen, um Lösungen für Flüchtlinge zu finden. Lassen Sie uns dabei nicht die Hoffnung aufgeben – die Hoffnung, dass der Frieden endlich in die Länder zurückkehrt, in denen er so fern und so unmöglich erscheint.“