Ein Traumland der Äpfel und der Chancen
Ein Traumland der Äpfel und der Chancen
Männer in Uniformen waren für Umeswaran Arunagirinathan immer etwas Böses. Männer in Uniformen waren es, die in Sri Lanka Dörfer niederbrennen, Frauen vergewaltigen und Männer erschießen. Entsprechend ängstlich war der 13-Jährige bei seiner Ankunft in Deutschland, als auf dem Flughafen Frankfurt ein Polizist auf ihn zukommt – und dann bietet ihm der Mann in Uniform mit einem freundlichen Lächeln ein Stück Schokolade an. „Das war einer meiner ersten Kontakte zu Deutschland. Und ich habe damals schon gespürt, dass das Land, dass die Menschen hier etwas Besonderes sind.“ Mittlerweile ist er, der aus Sri Lanka floh, einer von ihnen. Und er hat seinen Weg gemacht: Der Junge von damals ist heute Herzchirurg an der Berliner Charité – und erträgt es, dass manche den Arzt für einen Pfleger halten.
„Es war Bürgerkrieg damals und jeden Tag starben Menschen“, erzählt Dr. Arunagirinathan und bittet dann darum, ihn doch einfach Umes zu nennen. Seine Kindheit war geborgen, aber als er älter wurde, hatten die Eltern Angst, dass ihr Sohn zum Kriegsdienst gezwungen wird. „Also gaben sie mir 100 Dollar und ein Flugticket. Damit sollte ich zum Onkel.“ Nach Hamburg. In Deutschland. Wo immer das genau sein mag.
Der Flug ging erstmal nach Singapur und dann nach Afrika. In Togo strandete er für ein paar Monate und feierte seinen 13. Geburtstag. „Ich habe an diesem Tag 10 von meinen 100 Dollar für Milch ausgegeben, damit jeder in der tamilischen Gemeinschaft dort Tee mit etwas Milch trinken konnte. Das ist für einen Tamilen etwas ganz Besonderes.“ Und es war Heimat.
Die konnte in Frankfurt erst einmal weiter weg nicht sein. „Ich war zuerst in einem Kinderheim. Ich hatte Hunger und es gab Pizza. Ich dachte, dass die rote Sauce Blut sei und ekelte mich.“ Also aß der kleine Umes nur die Ränder. Die Banane zum Nachtisch war dann wieder vertrautes Terrain. Und dann gab es noch: einen Apfel. „Äpfel sind auf Sri Lanka etwas ganz besonderes. Manchmal bringt Besuch einen mit, also einen Apfel für die ganze Familie. Der wird dann feierlich aufgeschnitten wie eine Torte.“ Und hier in diesem Deutschland sind Äpfel allgegenwärtig? Ein Traumland!
Von wegen. Denn Umes kommt zwar zu seinem Onkel, der wohnt aber in Mümmelmannsberg. Der Hamburger Stadtteil ist etwas, was man einen sozialen Brennpunkt nennt. Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe; da ist „Mümmel“ überall ganz vorn dabei. Aufstieg, Chancen, Zukunft? Schwierig. Doch Umeswaran will es wissen und er will Arzt werden. „Meine Schwester war schwer krank und wenn wir mit ihr in Sri Lanka im Krankenhaus waren, konnten wir manchmal einen Arzt sehen. Ich habe diese Männer so bewundert!“ Als seine Schwester starb, war für den kleinen Umes klar: Ich will Arzt werden. Menschen helfen.
In Mümmelmannsberg das Abitur zu schaffen, ist schon eine Leistung. Erst recht, wenn man kein Wort Deutsch sprach. Aber Umes lernt schnell. Er ist ehrgeizig und er will etwas erreichen. Vielleicht auch zurückgeben. „Deutschland ist ein Land voller Chancen“, sagt er. „Sie nicht zu nutzen, wäre doch ein Verbrechen!“
Und so wird er Klassensprecher und dann Schulsprecher. Und dann nochmal. Und nochmal. Fünf Jahre hintereinander wird er gewählt und zwei Jahre ist er sogar im Team der Landesschulsprecher von ganz Hamburg. „Lernen ist mir nie leichtgefallen. Ich bin leider kein Talent“, sagt er. Aber er beißt sich durch und er findet auch immer Menschen, die den Willen erkennen und ihm helfen. „Man braucht Ehrgeiz“, sagt Dr. Arunagirinathan heute. „Aber man braucht auch Glück und vor allem braucht man Hilfe.“ Die bekomme man allerdings auch nur, wenn man den anderen zeige, dass man sein Ziel unbedingt erreichen wolle.
Umes schafft es, das Abitur. Und dann das Studium. Und die Facharztausbildung. Dr. Umeswaran Arunagirinathan, Herzchirurg. Doch als er mit einem Patienten dessen Bypass-Operation durchsprechen will, bezeichnet der ihn als Hochstapler. Später beschwert der Mann sich bei einer Schwester, da sei ein Pfleger aus Pakistan gewesen, der habe sich als Arzt ausgegeben, unerhört so etwas. Arunagirinathan macht die Operation trotzdem. Sie wird ein Erfolg. Der Patient verliert kein Wort des Dankes.
„Alle Menschen haben Vorurteile. Auch Tamilen“, sagt Umes schulterzuckend. „Natürlich ist es furchtbar, wenn man auf seine Hautfarbe reduziert wird. Aber einem solchen Fall stehen 100 andere Menschen gegenüber, die mir mit Respekt und Freundlichkeit begegnen.“ Deshalb ärgere ihn auch „diese ewige Opferrolle“: „Ich sage jedem Türken, jedem Syrer, jedem Afghanen, auch jedem Tamilen und sogar jedem Deutschen: Hört auf zu jammern! Macht etwas aus Euren Leben! Deutschland gewährt so unglaublich viele Chancen. Ich bin Arzt geworden und ich habe niemandem etwas weggenommen. Wenn ich es geschafft habe, kann es jeder andere auch.“
Wichtig sei es aber, die Sprache zu erlernen. „Jeder soll seine Kultur und seine Religion haben, aber alle müssen sich verständigen können. Und in Deutschland ist die Sprache nun mal Deutsch. Wenn wir das anderen Menschen abnehmen, tun wir ihnen keinen Gefallen. Im Gegenteil, es ist Gift für sie und für die Gesellschaft.“ Sein Tipp für alle, die in Deutschland ankommen wollen: „Geht ins Altersheim! Da sind Menschen, die etwas zu erzählen haben und sie haben auch die Zeit dafür und sind sogar dankbar. Nirgendwo lernt man besser etwas über ein Land und seine Sprache.“
Deutschland ist nun seine Heimat und er liebt es, diese Heimat zu bereisen. Überall hat er Freunde – Menschen, die ihr Haus und ihr Herz für ihn geöffnet haben. „Hamburg ist schön. Sternberg bei Schwerin aber auch“, sagt er lächelnd. Tamile sei der Deutsche Dr. Umeswaran Arunagirinathan aber auch noch: „Ich habe meine Herkunft nie vergessen und ich trage sie weiter im Herzen. Der Curryduft ist mir doch nicht fremd, nur weil ich jetzt Deutscher bin. Ich würde nie meine Religion oder meine Muttersprache aufgeben. Warum auch, meine tamilischen Wurzeln gedeihen gut im deutschen Boden. Und ich liebe die Gerichte meiner Heimat genauso wie Rinderrouladen oder Grünkohl.“ Und ein Apfel, der ist immer noch etwas Besonderes.