Jede Fluchtkrise ist auch eine Bildungskrise, die Millionen Menschen trifft
Jede Fluchtkrise ist auch eine Bildungskrise, die Millionen Menschen trifft
Die Bedeutung der Bildung für Flüchtlinge im Bestreben, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen, beleuchtet die neue Ausstellung des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. Es ist zugleich eine Sonderausstellung in Zusammenarbeit mit UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Sie beschreibt nicht nur, wie Millionen junge Menschen weltweit durch Vertreibung und Flucht aus Schulen und Universitäten gerissen werden und somit die Zukunft ganzer Generationen auf dem Spiel steht. Die Schau legt den Schwerpunkt auch auf beeindruckende Porträts studierender Flüchtlinge, die mit Ausdauer und Durchsetzungskraft gegen die hohen Hürden auf ihrem persönlichen Bildungsweg kämpfen. Der Faktor Bildung ist nicht nur für die Betroffenen lebenswichtig, sondern auch für ihre Familien, ihre Umgebung und nicht zuletzt ihr Aufnahmeland elementar. Zu sehen ist die Sonderausstellung mit dem Titel „Becoming who you are – Studium trotz Flucht“ bis zum 13. Oktober.
Im Mittelpunkt stehen die Bilder des Fotografen Antoine Tardy. Der Genfer Fotoreporter dokumentiert seit sieben Jahren das Leben von Flüchtlingen in aller Welt. "Sie haben natürlich unterschiedliche Charaktere und leben in sehr unterschiedlichen Verhältnissen, aber sie haben eines gemeinsam: diese Stärke und Ausdauer, diesen Ehrgeiz und den Willen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, verstärkt durch die Härte, der sie sich stellen müssen. Die letzten sieben Jahre waren wie eine Reise. Eine Reise, in der sich meine Vorstellung, wer und was ein Flüchtling ist, völlig dekonstruiert und verändert hat. Die Bilder sollen ein Zeugnis für Würde und Menschlichkeit sein. Zu werden, wer man ist, ist ein universelles Bestreben. Es verweist darauf, was uns eint, und nicht auf das, was uns trennt."
Bildung ist ein Menschenrecht. Doch während im Bevölkerungsschnitt 42 Prozent der Menschen studieren können, sind es bei Flüchtlingen und Vertriebenen nur 7 Prozent. Angesichts solcher Zahlen ist die Sonderausstellung auch eine Gelegenheit, den eigenen Bildungsweg zu reflektieren: Welche Hindernisse musste ich überwinden? Welche Möglichkeiten wurden mir geschenkt? Welche Lehrer haben meine Entwicklung geprägt? Wohin hat mich persönlich Bildung gebracht?
Die barrierefreie Ausstellung wird von Multimediainstallationen begleitet, die über die unterschiedlichen Aufnahmeländer informieren und mit Foto, Text und Video einzelne Schicksale dokumentieren.
So wie das von Ahmad, der bei einem Bombenanschlag ein Bein verlor und nach seiner Flucht in den Libanon Architektur studiert, um später in seiner Heimat Syrien die antiken Stätten wieder aufbauen zu können.
Oder Mireille, die aus politischen Gründen im Gefängnis in Burundi saß und dort vergewaltigt und misshandelt wurde. Und nun in Fernstudien Kurse zu Ethik und Kinderrechten belegt.
Oder Raïssa, die immer nachts studiert, wenn ihr kleiner Sohn schläft: „Wir sind nur zu zweit und machen einfach weiter.“
Oder Patience, die als Kind mit ihrer Schwester von ihrer Familie getrennt wurde, aber zur Schule gehen konnte. Sie studiert Informatik – obwohl sie nicht mal einen Computer besitzt: „Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg. Bildung schafft etwas. Sie macht nie etwas kaputt.“
Die portraitierten Studentinnen und Studenten waren Stipendiaten des sogenannten DAFI-Programmes, das 1992 von der Bundesregierung ins Leben gerufen worden war. Die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative Albert Einstein ermöglicht Flüchtlingen, in ihrem Erstaufnahmeland zu studieren. Das soll die Situation nicht nur dieser Menschen selbst, sondern auch für ihr Umfeld und nicht zuletzt ihre Gastländer verbessern. In den ersten 30 Jahren des Programmes konnten so mehr als 26 500 Flüchtlinge in 59 Ländern studieren.