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Wie Nasim Alizadeh mit seiner Kunst nicht nur TikTok erobert

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Wie Nasim Alizadeh mit seiner Kunst nicht nur TikTok erobert

17 Dezember 2021
© Nasim Alizadeh

Das erste Bild, das Nasim Alizadeh, 23, in Österreich malte, war das eines Sonnenuntergangs hinter einer hügeligen Landschaft. Die ersten paar Monate nach seiner Flucht aus dem krisengeschüttelten Afghanistan 2016 verbrachte er in unterschiedlichen Asyl-Unterkünften und hatte, außer zwei Stunden Deutschkurs am Tag, wenig Möglichkeiten sich zu beschäftigen. Deshalb begann er wieder vermehrt zu zeichnen. Der Sonnenuntergang erinnerte ihn an Erfahrungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit.

Nach einigen Zwischenstationen landete Nasim noch im selben Jahr in einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im beschaulichen Köflach (Bezirk Voitsberg) in der westlichen Steiermark. Ab dann hieß es für ihn erst einmal warten. Und warten. Und warten. Worauf? Auf einen offiziellen Aufenthaltstitel für Österreich.

Nasim besuchte das Gymnasium in Köflach, sprach immer besser Deutsch. Die Weststeiermark wurde langsam zu seiner zweiten Heimat. Doch nach wie vor war da diese Unsicherheit, die an manchen Tagen alles zu überschatten drohte. Nicht zu wissen, ob man das Land, in dem man sich gerade ein Leben aufbaute, in naher Zukunft wieder verlassen musste, war für den jungen Afghanen sehr frustrierend.

„Durch die Kunst habe ich Freund*innen gefunden und jede*r einzelne von ihnen ist für mich Heimat geworden.“

Doch Aufgeben war für Nasim keine Option. Seine Freund*innen, die er in Österreich kennenlernte, und seine Liebe zur Kunst halfen ihm durch diese schwierige Zeit. „In den letzten fünf Jahren war die Kunst alles für mich. Ich musste fünf Jahre lang auf meinen Aufenthaltsstatus warten. Durch die Kunst konnte ich mich dennoch immer wieder motivieren“, erinnert er sich.

Schon vor seiner Flucht aus Afghanistan war Nasim begnadeter Künstler. Das Zeichnen und Malen half ihm auch währenddessen, immer wieder nach vorne zu blicken und seine Träume und Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.

„Die Kunst war für mich nicht nur eine geistige, sondern auch eine finanzielle Hilfe.“

Die Kunstwerke, die Nasim im Laufe der Jahre malte, wollte er anfangs eigentlich nicht verkaufen. Sie dienten lediglich seiner eigenen Freude, als Erinnerung an prägende Momente oder auch als Geschenke für Freund*innen. „Aber nachdem ich damals von 150 Euro Grundversorgung im Monat leben musste, fing ich an, meine Kunstwerke zu verkaufen. Die Kunst war für mich nicht nur eine geistige, sondern auch eine finanzielle Hilfe“, erzählt er. Mittlerweile zeichnet Nasim regelmäßig Auftragsarbeiten.

Auf bereits 13 Ausstellungen wurden seine Kunstwerke präsentiert. Dabei war Nasim zum Teil alleiniger Aussteller und zum Teil fanden seine Kunstwerke neben jenen anderer Künstler*innen Platz. „Die nächste Ausstellung wird vermutlich im Jänner 2022 in der Steiermark stattfinden“, verrät er.

Auch in den sozialen Medien sind die Menschen von Nasims Werken begeistert. Auf TikTok (@nasim_art) bekommt Nasim regelmäßig Tausende Likes und Millionen Views. Am liebsten zeichnet er Portraits – und lässt dabei seine Followerschaft gerne am Entstehungsprozess teilhaben. Gesellschaftskritische und politische Werke sind ebenfalls auf seinem Instagram- (@nasim_art169) und TikTok-Kanal zu finden.

„Kunst kann Kontinente, Länder, Nationalitäten, Menschen und Herzen verbinden.“

Nicht nur beim Zeichnen und Malen ist Nasim talentiert. 2019 hat er es beim Sag’s Multi Redewettbewerb von 560 mehrsprachigen Schüler*innen aus ganz Österreich bis in die Finalrunde geschafft. Und das in einer Zeit, in der er nicht wusste, ob er überhaupt in seiner neuen Heimat bleiben durfte.

Im Dezember 2020, fast fünf Jahre nach seiner Ankunft in Österreich, kam endlich die erlösende Nachricht: Nasim wurde als Flüchtling anerkannt und ihm wurde Asyl gewährt. Er durfte also in Österreich bleiben.

Gleich nach dem Schulabschluss begann Nasim im Sommer 2021 bei der Lebenshilfe als Begleiter zu arbeiten. Schon immer träumte er von einem Job im medizinischen Bereich. Dieser Traum sollte schon bald darauf Wirklichkeit werden, als Nasim die Zusage für die Ausbildung zum Pflegeassistenten erhielt. Den Schwerpunkt seiner Ausbildung möchte er dabei auf die Behindertenpflege legen.

Nasims Motivation und sein Durchhaltevermögen haben sich gelohnt. Er kann Österreich nun auch offiziell seine Heimat nennen. Doch so ganz kann er sich dennoch nicht freuen: Nasims Familie sitzt nach wie vor in Afghanistan fest. Seit einigen Monaten versucht er nun schon, seine engsten Familienmitglieder aus der sich kontinuierlich verschlechternden Situation in Afghanistan zu retten – bislang leider ohne Erfolg.