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Neustart für einen afghanischen Flüchtling in Wien

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Neustart für einen afghanischen Flüchtling in Wien

26 May 2016
Shokat Ali Walizadeh. © UNHCR/Mark Henley

„Die Leute brauchen halt gute Zähne, vor allem beim Lächeln“, begründet Shokat Ali Walizadeh mit einem Augenzwinkern seine Entscheidung für seine ursprüngliche Ausbildung zum Zahntechniker in Österreich. Heute arbeitet der junge Afghane in der Flüchtlingsbetreuung beim „Arbeiter-Samariter-Bund“ und hat mit Freunden seine eigene Hilfsorganisation für afghanische Flüchtlinge in Österreich gegründet: „Afghanische Jugendliche – Neuer Start in Österreich“. Doch bis hierhin war es ein langer Weg für ihn.

Shokat Ali ist Hazara und gehört damit einer schiitischen Minderheit im mehrheitlich sunnitischen Afghanistan an, die in der Vergangenheit immer wieder Zielscheibe von Verfolgungen wurde. In Afghanistan wuchs er in der Stadt Ghazni im Osten des Landes auf. „Auch wenn meine Heimat von dreißig Jahren Krieg gezeichnet ist, habe ich dennoch schöne Erinnerungen an meine Kindheit dort, an meine Familie, an die Schule und an meine Freunde. Zusammen mit ihnen habe ich Bildungsworkshops für Menschen organisiert, die keine Schule besuchen konnten.“ Aber solche Aktivitäten können in Afghanistan leider lebensbedrohlich sein. Daher musste Shokat Ali 2007 aus seiner Heimat fliehen.

Eine schwierige Reise

Er war gerade 17 Jahre alt, als sein Onkel ihn einem Schmuggler anvertraute. Das Ziel war Wien. Die gefährliche Reise über Tausende Kilometer dauerte Monate und schien endlos. „Ich bin alleine in einem Flugzeug geflogen, war in einem LKW versteckt, bin weite Strecken mit dem Auto gefahren und blieb zwischendurch auch für einige Zeit in dem Haus eines Schleppers“, erzählt er. Irgendwann, das war 2008 und er war fast 18 Jahre alt, erreichte Shokat Ali mit dem Zug Österreich. „Ich wusste nicht einmal in welchem Land ich da eigentlich angekommen war und ein gültiges Ticket hatte ich auch nicht.“ Im Erstaufnahmelager in Traiskirchen traf er andere Afghanen, viele von ihnen Hazara. Zunächst fühlte er sich frei und sicher. In Afghanistan wäre es nicht sicher gewesen, nachts das Haus zu verlassen; hier konnte er Tag und Nacht die Gegend erkunden und zum ersten Mal in seinem Leben konnte er seine Meinung frei äußern. Die Monate danach allerdings waren ein herber Rückschlag: Fast ein Jahr lang war Shokat Ali in einer Unterkunft in dem 550-Seelen-Ort Annaberg in Niederösterreich untergebracht. Er und die anderen Flüchtlinge hatten weder einen Fernseher noch einen Fußball, von Deutschunterricht ganz zu schweigen. „Als ich dort ankam, war ich zunächst total verzweifelt, weil ich keine Perspektive gesehen habe.“

Shokat Ali hatte Angst, in diesem abgelegenen Teil Österreichs für Jahre festzusitzen. Er entschied, dass es nun Zeit sei, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. „Ich war dafür bestimmt, es in Österreich zu schaffen, aber ich wusste auch, dass ich mir selbst helfen musste.“

Kraft für einen Neuanfang

Shokat Alis Leben veränderte sich grundlegend, nachdem er Kontakt zum „Flüchtlingsprojekt Ute Bock“ in Wien aufgenommen hatte. Der Verein stellt nicht nur Unterkünfte für Flüchtlinge zur Verfügung, sondern bietet auch eine Vielzahl an Deutschkursen an. Hier traf er auch auf Regine Kappeler. „Er war ruhig und arbeitete immer sehr genau und zielstrebig“, erzählt sie. Die Lehrerin und Dolmetscherin ist mittlerweile zu einer wichtigen Bezugsperson in Shokat Alis Leben geworden und hat ihm in vielen Situationen beigestanden. „Nach kurzer Zeit half ich ihm, sich in einem Intensivsprachkurs einzuschreiben, wofür er sehr dankbar war.“ Sie war es auch, die Shokat Ali 2010, nachdem er inzwischen subsidiären Schutz zuerkannt bekommen hatte und nun endlich arbeiten durfte, zu einem Ausbildungsplatz in einem zahnmedizinischen Labor verhalf. „Mein ganzes Leben wollte ich einen Beruf erlernen, in dem ich anderen Menschen helfen kann. Für ein Medizinstudium war mein Deutsch nicht gut genug. Regine Kappeler hat mich einmal mehr motiviert und mir bei der Entscheidung zu der Ausbildung zum Zahntechniker geholfen. Ohne sie hätte ich all diese Jahre vielleicht nicht durchgestanden.“

Das Unglaubliche erreichen

Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Österreich als blinder Passagier in einem Zug begann Shokat Ali, sich langsam einzuleben. „Er hat das Unglaubliche geschafft. Als die österreichischen Behörden seinen afghanischen Schulabschluss nicht anerkennen wollten, musste er vier Jahre lang noch eine Fachschule besuchen – und schloss dort mit dem besten Ergebnis ab“, erinnert sich Regine Kappeler.

Shokat Ali, der mittlerweile fließend Deutsch spricht, hat seine Ausbildung 2014 abgeschlossen und anschließend in einem Labor gearbeitet, bevor er im Dezember 2015 den Job wechselte. Nun arbeitet er beim Arbeiter-Samariter-Bund, vor allem in der Flüchtlingsbetreuung der Organisation. „Ich habe Menschen dabei geholfen, schöne Zähne zu bekommen und als Freiwilliger mit Flüchtlingen gearbeitet. Aber ich wollte mehr tun und jetzt helfe ich Flüchtlingen hauptberuflich und in meiner Freizeit. Es ist viel Arbeit aber ich schaffe das.“

Von Shokat Alis Elan und seinem unermüdlichen Willen, es hier zu etwas zu bringen, profitieren mittlerweile auch andere afghanische Flüchtlinge. Ein Neustart in Österreich, so ist er überzeugt, ist auch für andere möglich.