Gespräche zum Weltfrauentag: „Suad–mein Name bedeutet Glück“
Gespräche zum Weltfrauentag: „Suad–mein Name bedeutet Glück“
Suad Mohamed: Ich hatte immer so viele Träume, auch jetzt noch. Ich habe 50 Träume und Pläne und ich weiß nicht, welche davon in Erfüllung gehen … Als Mädchen hatte ich eigentlich schon die gleichen Träume. Eine gute Schulausbildung machen, auf die Uni gehen, hart arbeiten, anderen helfen. Ich wollte immer etwas Positives machen, positive Energie in der Gesellschaft schaffen, das war mein Traum. Und das ist auch jetzt noch mein Traum. Ich bin froh, dass ich jetzt in Österreich bin. Jetzt ist hier mein Zuhause. Ich wünsche mir ein einfaches, glückliches Leben in Sicherheit. Ich will nicht Präsidentin der Vereinigten Staaten werden …
Und am glücklichsten macht es mich, wenn ich anderen helfen kann. Das ist ein herrliches Gefühl, wenn ich sehe, dass ich etwas geschafft habe.
Meine Mutter und meine Großmutter haben mir beigebracht, dass Träume nicht von „Heimat“ abhängen. Sie haben mich gelehrt, dass ich meine Träume überall verwirklichen kann – ich mache das jetzt in Österreich.
UNHCR: Für Mädchen und Frauen, besonders für jene mit Fluchthintergrund, ist es häufig sehr schwierig eine höhere Ausbildung zu machen. Wie haben Sie das erlebt?
Suad Mohamed: Meine Familie musste Somalia schon vor meiner Geburt verlassen, mein Vater hat Arbeit in Saudi Arabien gefunden, wo ich dann aufgewachsen bin. Ich hatte Glück, die Schule war kostenlos und ich konnte meinen Abschluss machen. Kurz danach musste aber meine Familie das Land verlassen und wir sind nach Syrien gegangen, weil wir dort kein Visum brauchten. Ich hatte mich für ein Stipendium in Pakistan beworben und wurde tatsächlich angenommen. Meine Familie blieb also in Syrien und ich ging nach Karachi, um dort Pharmazie zu studieren. Das war nicht ganz einfach durchzusetzen, aber ich habe es geschafft.
UNHCR: Sie sind, als Sie gerade einmal volljährig waren, allein nach Pakistan zum Studium. Was hat Ihnen geholfen, um erneut in einem unbekannten Land mit einer anderen Sprache zurecht zu kommen?
Suad Mohamed: Ich bin ein sehr sozialer Mensch, das hat mir geholfen. Aber natürlich war es oft schwierig. Ich habe am Anfang auf der Universität kaum etwas verstanden, weil die Professoren oft Urdu (Anmerkung: Amtssprache in Pakistan) gesprochen haben. Auch mein Englisch war nicht sehr gut.
Aber ich habe schnell Freunde auf der Uni gefunden, die mir auch sehr viel geholfen haben. Das werde ich nie vergessen. Eine Studienkollegin aus Nepal, Farzana, wurde schnell zu meiner besten Freundin. Sie hat mir mit der Sprache geholfen, sie hat sogar Bücher für mich zusammengefasst, weil ich hätte ja nicht alles in Google Translate eingeben können … Ihre Muttersprach ist Hindi, das ist Urdu sehr ähnlich. Wir haben alles zusammen gemacht, auch unser Praktikum in einem Spital in Karachi.
UNHCR: Wie ist es dann nach Ihrem Studium weitergegangen?
Suad Mohamed: Mein Studium hat sechs Jahre gedauert, aber als ich meinen Abschluss hatte, war der Krieg in Syrien ausgebrochen. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte – ich konnte nicht mehr zurück, aber in Pakistan durfte ich auch nicht bleiben. Mein einziger Ausweg war Somalia, denn es ist kaum möglich, als Somali für ein anderes Land ein Visum zu bekommen. In Somalia hatte ich aber keine Familie mehr, für eine ledige junge Frau ist es dort besonders gefährlich. Aber ich hatte wieder Glück, ich habe unglaublich hilfsbereite Menschen getroffen, die mich unterstützt haben. Ich treffe immer unglaubliche Menschen …
Aber das Leben in Somalia war für mich zu gefährlich. So bin ich schließlich übers Meer in den Oman und von dort nach Europa, bis nach Österreich. Es war nicht mein Plan, nach Österreich zu kommen. Meine Reise hat Österreich für mich ausgewählt. Im Sommer 2016 bin ich hier angekommen. Mittlerweile habe ich Asyl und in Österreich beruflich Fuß gefasst.
UNHCR: Sie waren ganz neu in Österreich und haben niemanden gekannt. Wie haben Sie es geschafft, hier in Österreich wieder neu anzufangen?
Suad Mohamed: Als ich nach Österreich gekommen bin, bin ich zwei Monate in der Flüchtlingsunterkunft geblieben. Ich hatte negative Gedanken und ich fühlte mich so nutzlos von dem vielen Herumsitzen. Als ich mit meiner Mutter telefonierte, hat sie zu mir gesagt: „Du kannst dich doch nützlich machen, arbeite als Freiwillige.“ Ich sagte, ok, aber was kann ich anbieten? Meine Mutter hat gesagt: „Biete einfach deine Hilfe an. Du kannst sechs Sprachen. Du bist eine kreative Frau.“ Und das habe ich dann gemacht …
Gestartet habe ich beim Österreichischen Roten Kreuz, bei der Familienzusammenführung. Ich bin mit einer Bekannten mitgegangen, die sich beraten lassen wollte und ich habe dann einfach den Berater gefragt, ob ich als Freiwillige mithelfen kann. Anfangs haben mir die Kolleg*innen gesagt, dass ich nur einmal in der Woche kommen soll. Aber ich habe gesagt: Nein, ich will jeden Tag kommen, ich will arbeiten! Sie hatten wohl Angst, dass ich ihnen gleich wieder davonlaufe oder dass die Arbeit zu deprimierend wäre … (lacht)
Ich bin geblieben. Schritt für Schritt habe ich gelernt und wir sind wie eine Familie geworden. Zuerst war ich beim Roten Kreuz und dann habe ich mich bei der Diakonie vorgestellt.
Was wirklich wichtig für mich ist und was ich nicht oft genug sagen kann, ist, dass die Kolleg*innen wie eine Familie für mich geworden sind. Bei beiden Organisationen habe ich so viel gelernt und alle haben mir geholfen.
Nachdem ich meinen Schutzstatus erhalten habe, haben mir sowohl die Diakonie als auch das Rote Kreuz einen Job angeboten. Darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut.
Seitdem sind ein paar Jahre vergangen. Ich arbeite immer noch beim Roten Kreuz und als sozialmedizinische Beraterin im Gesundheitsbereich bei der Diakonie. Außerdem habe ich viele tolle Chancen bekommen bei Konferenzen und Veranstaltungen, wie zum Beispiel beim Forum Alpbach, zu sprechen und habe unter anderem Bundespräsident Alexander Van der Bellen und den ehemaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon getroffen.
UNHCR: COVID-19 hat Vieles verändert? Wie haben Siepersönlich und auch als Pharmazeutin die Zeit der Pandemie erlebt?
Suad Mohamed: Die Verunsicherung war und ist groß, die Menschen hatten viele Fragen. Wichtige Informationen waren aber oft nicht auf Somali verfügbar. Deshalb habe ich gemeinsam mit meiner Freundin, Dr. Hali Ahmed, den Somali Health Club gegründet. Auf Social Media teilen wir Infos zu COVID, zur Impfung und zu anderen Gesundheitsthemen mit der somalischen Community rund um den Globus. Besonders gefreut hat mich, dass bei unseren Webinaren mit Expert*innen in somalischer Sprache viele Menschen online waren ihre Fragen gestellt haben.
UNHCR: Was waren rückblickend für Sie die schwierigsten Momente? Und woran denken Sie gern zurück?
Suad Mohamed: Immer wieder in einem neuen Land anzufangen, das war schon sehr schwierig. Als Frau ganz alleine. Und dass meine Mutter so weit weg ist, mitten in Syrien in einem Kriegsland, das ist auch nicht einfach. (Frau Mohamed kämpft kurz mit den Tränen) Ich habe sie das letzte Mal 2009 gesehen, das ist eine meiner schönsten Erinnerungen.
Mein Name ist Suad, das kommt vom arabischen Wort „Glück“ – ich versuche immer die positiven Seiten zu sehen und Menschen mit einem Lächeln zu begegnen. Es gab auch so viele schöne Momente. Zum Beispiel meine Promotion auf der Uni. Oder meine Ankunft in Österreich. Ich war endlich in Sicherheit und so viele Menschen haben mir geholfen, einfach so. Ich kann nicht einmal alle aufzählen. Sie haben mir ihre Türen geöffnet und sie haben von Anfang an an mich geglaubt.
UNHCR: Noch ein Gedanke zum Internationalen Frauentag …
Suad Mohamed: Viele Frauen haben nicht die Chancen, die ich bekommen habe. Meine Botschaft an geflüchtete Frauen hier in Europa ist: Nutzt eure Chancen. Es gibt hier so viele Möglichkeiten, vor allem auch Bildungs-Chancen, die wir vielleicht in unseren Herkunftsländern nicht gehabt hätten. Ich möchte ihnen sagen – wir können es als Frauen schaffen!